Seit 2000 gibt es in Vierden wieder eine Dorfjugend. Nachdem sechs Jahre kein Erntewagen gebaut wurde, taten sich sieben Jugendliche zusammen und fertigten ihren ersten Kornwagen an. Mittlerweile hat Dorfjugend 29 Mitglieder. Und wenn sie in diesem Jahr den ersten Platz erreicht, kann sie den Wanderpokal mit nach Hause nehmen.
Am 1. August begannen die Jugendlichen, das Korn zu beschaffen. Bodo und Peter Klindworth stellten das Getreide zur Verfügung. Sonst wird die Dorfjugend auch von Peter Behrens unterstützt, doch aufgrund der Wetterbedingungen fiel seine Ernte so schlecht aus, dass es diesmal nicht möglich war. Jürgen Meyer, früher selbst Mitglied der Dorfjugend, kam mit Trecker und Mähbalken und erntete. Die Mitglieder sammelten die Halme zusammen und banden sie zu Hocken. Nach dem Trocknen ging es ans sogenannte Zupfen. In mühsamer Kleinstarbeit entfernen die Jugendlichen die Blätter, damit nur der goldgelbe Stängel übrig bleibt. "Es sieht einfach schöner aus. Wenn das Gestrüpp dran bleibt, wirkt das Ganze später nicht richtig. Und dann wäre die Arbeit umsonst gewesen“, sagt Jennifer Albers, Kassenwartin der Dorfjugend. Für die Heranwachsenden ist das Erntefest jedes Jahr ein großes Erlebnis. "Wir nehmen das sehr ernst. Damit die alte Tradition aufrecht erhalten wird, achten wir darauf, dass wir für unsere Schmuckwagen alte Motive aussuchen, die mit der Ernte oder der Landwirtschaft zu tun haben. Auch der Trecker ist kein neumodisches Teil mit Tiptronik, sondern ein Oldtimer. Der macht noch richtig Krach“, sagt Alexander Streu, einer von drei Vorsitzenden. Im vergangenen Jahr überzeugten die Vierdener mit einer sich drehenden Mühle. Innen war sie detailgetreu nachgebaut. Selbst der Mühlstein war vorhanden und funktionsfähig. Mit Gewürzen und Ähren kreierten sie im Inneren der Mühle ein Schachbrettmuster. "Das hat mich sehr viel Arbeit gekostet. Da hat man schnell einen 19- bis 20-Stunden-Tag“, erinnert sich Albers. Belohnt wurde die Truppe mit dem ersten Platz und 550 Euro. Auch 2005 standen sie auf dem Siegertreppchen. Mit einem lebensgroßen Pferd mit Pflug zeigten sie, was Erntewagen bauen bedeutet. "Wir hatten einen, der im Bauernoutfit hinter dem Pferd stand. Als wir dann in Sittensen mit dem Wagen um die Ecke fuhren, jubelten uns alle zu. Das ist auch die Motivation, sich jedes Jahr aufs Neue soviel Mühe mit dem Wagen zu geben. Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl“, sind sich Albers und Streu einig. Die Kassenwartin arbeitet in einem Friseursalon und bekommt genau mit, was die Bevölkerung von den Erntewagen hält. "Viele haben sich an uns erinnert, als sie mich sahen. Dann hieß es ‚Sie sind doch die von dem tollen Schmuckwagen im vergangenen Jahr oder? Machen Sie diesmal auch wieder mit?‘. Es ist schön zu hören, dass die Leute sich an den Wagen erfreuen“, erklärt sie. Bevor es dann zum Erntefest nach Sittensen geht, präsentieren die Vierdener den Wagen im eigenen Dorf. "Das gehört zur Tradition. Außerdem zeigen wir unter anderem so unseren Dank für die Unterstützung, die wir aus der Bevölkerung bekommen. Die Bürger sind sehr großzügig. Wir finanzieren uns ja eigentlich über unseren Jahresbeitrag. Nur durch die Spenden können wir die aufwendigen Wagen bezahlen. Denn was viele nicht wissen ist, dass die richtig teuer sind. Für das Pferd haben wir 1.500 Euro ausgegeben“; erläutert Streu. Heiko Ehlert stellt jedes Jahr seine Halle in Ramshausen zur Verfügung. "Er hat früher selbst Wagen gebaut. Jetzt hilft er auf diese Weise. Wir können hier alles benutzen. Eigentlich ist das ja seine Lagerhalle. Er hat ja einen Reetdachdeckerbetrieb“, sagt Streu. Im Anschluss an die Erntedankfestzeit fahren die Jugendlichen zu allen, die sie mit Spenden unterstützt haben und überreichen einen Präsentkorb. "Natürlich kann man das mit der Arbeit, die manche hier reinstecken, nicht aufwiegen, aber es ist eine Geste. Für unsere Fahrer Marco und Ingo Viebrock haben wir auch schon mal einen Grillabend veranstaltet. Die beiden kümmern sich nämlich um die gesamte Technik auf unseren Wagen. Ohne sie würde sich gar nichts drehen“, betont Streu. In knapp einem Monat ist es dann soweit. Am Samstag, 29. September, muss der Wagen komplett fertig sein, damit es am nächsten Tag ohne Probleme losgehen kann. Das Thema Alkohol auf den Wagen beschäftigte in den vergangen Wochen sowohl Politker als auch besorgte Eltern. Die Vierdener bedauern, dass der Sinn des Erntedankfestes durch die Sauferei völlig in den Hintergrund gerät. "Wenn wir abstreiten würden, dass wir was trinken, dann würden wir uns selbst in die Tasche lügen. Aber keiner von uns trinkt bis zur Besinnungslosigkeit oder soviel, dass er nur noch pöbelt und nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Wir bringen uns in Feierlaune, singen unsere Lieder, präsentieren unseren Wagen und sorgen dafür, dass wir unseren Müll wieder mitnehmen“, sagt Albers. Sie findet es schade, dass so ein Fest durch Gartenverwüstungen und öffentliches Urinieren zerstört wird. "Wir sagen unseren Neuen immer, dass sie sich zurück halten sollen. Das tun auch alle. Denn: Wer in Sittensen einen guten Platz machen will, der muss sich benehmen“, weiß der Vorsitzende. Auch für Ghettoblaster mit großen Verstärkern haben die Vierdener nichts übrig. "Eigentlich ist das auch verboten. Durchgreifen tut aber keiner, genau wie beim Alkohol. Es sind nur leere Drohungen“, ärgert sich Streu. "Wir haben unsere kleine Anlage, damit wir auf dem Weg ein bisschen Musik haben. Wenn der Umzug losgeht singen wir Lieder oder rufen Parolen, die unser Dorf vorstellen.“ Wenn das Sittenser Erntefest vorbei ist, geht es noch nach Sauensiek und nach Zeven. "Dort trifft sich sozusagen die Crem' de la Crem', denn der Wagen muss so gut sein, dass er die Zeit bis dahin übersteht und noch schön aussieht. Wenn das vorbei ist, geht es zurück nach Hause. Dann folgt der Abriss. "Das schmerzt immer ganz besonders. Die anderen Jahre hat uns Philipp Behrmann mit der Kamera begleitet. Er hat alles gefilmt, von den Vorbereitungen bis zum Schluss. Das tut in der Seele weh“, sagt Albers. "Soweit wollen wir allerdings jetzt noch nicht denken.“