(az). Am 26. April jährt sich der Amoklauf am Erfurter Johann-Gutenberg-Gymnasium zum dritten Mal. Nicht nur direkt nach dem Massaker befassten sich Journalisten intensiv mit dem Thema. Auch in Buchform wurden die Geschehnisse verarbeitet. Oftmals zielte die Berichterstattung jedoch auf Sensationen ab. Zum Jahrestag veröffentlicht Schriftsteller Dr. Friedrich Kabermann, der seit sechs Jahren in Hassendorf wohnhaft ist, jetzt der Tatsachenroman "Im toten Winkel".
Der 65-Jährige hat sich als Buchautor verschiedener Genres einen Namen in Deutschland gemacht. "Mir ist es wichtig, allgemeingesellschaftliche Themen zu transportieren", sagt er. Kabermann absolvierte nach dem Studium eine journalistische Ausbildung bei den Nürnberger Nachrichten und arbeitete als freier Journalist für Zeitungen wie "Die Welt" und "Die Zeit". Einige seiner Erfahrungen flossen in sein Buch mit ein. "Man kann nicht sagen, ‚Erfurt war gestern‘", warnt der Autor. Ein solcher Amoklauf könne jederzeit und überall wieder passieren. Belege gibt es genug: Gerade vor knapp zwei Wochen schoss im bayrischen Rötz erneut ein Schüler auf seinen Lehrer. Kabermann verfolgt das Ziel, zum Nachdenken anzuregen. "Das Thema geht nicht nur Lehrer an. Jeder, der mit Kindern zu tun hat, sollte sich angesprochen fühlen." Das Buch erzählt die Geschichte der Referendarin Cornelia Pölert (Name geändert) und ihres neuen Freundes, dem Journalisten Martin Hübner, den sie Ende März 2002 im Urlaub in Tunesien kennen lernt. "Die beiden schreiben sich Briefe, so dass der Leser einen Eindruck von ihrem bisherigen Leben bekommen", erklärt Kabermann. Die junge Frau durchlief eine schwierige Zeit - sie war mit dem Palästinenser Yamir verheiratet, der bei einem gemeinsamen Besuch in London auf offener Straße ermordet wurde. Am Freitag, 26. April, kehrt Hübner, der sich selbst mit der Materie Palästina gut auskennt, zurück nach Deutschland und fährt nach Erfurt, um mit Cornelia über eine gemeinsame Zukunft zu sprechen. Unterwegs hört er aus der Redaktion vom Massenmord am Gutenberg-Gymnasium und wird beauftragt, dort anhand eines der 16 Opfer über die Katastrophe zu berichten. Es ist Cornelia. Hübners Welt bricht zusammen. Anstatt den Auftrag auszuführen, kündigt er die Stelle und fasst als freier Autor fern der Sensationsindustrie Fuss. Das traumatische Erlebnis überwindet er nur dadurch, dass er die Begegnung mit Cornelia auf der Suche nach dem Sinn im inneren Dialog weiterführt. Das Ergebnis ist der Text "Im toten Winkel". Hübner hofft, dass sich der Sinn des Geschehens vom Ende her erschließt - "im Gegenlicht". "Er stellt sich viele Fragen. Was können wir tun? Wie sollten wir mit unseren Kindern umgehen?", erläutert der Autor. Das Buch schrieb Kabermann bereits vor zweieinhalb Jahren, kurz nach dem Attentat. Danach ließ er das Manuskript erstmal liegen - und setzte sich erst wieder im Herbst vergangenen Jahres daran. Kurzfristig ging er auf Verlagssuche - und erhielt bei Wiesenburg die Zusage, den Roman noch im Frühjahr zu veröffentlichen. "Ich wollte, dass er zum dritten Jahrestag erscheint." Da sich bereits anderen Autoren an das Thema gewagt hatten, in ihren Werken jedoch kaum Rücksicht auf die Opfer nahmen und mit ihrem Schicksal Geschäfte machten, bekam Kabermann besorgte Anrufe von der Schulleitung, dem Schulpsychologen und dem Thüringischen Innenministerium. "Ich habe sie beruhigt. Denn hierbei handelt es sich keinesfalls um Sensationsjournalismus", erzählt der Schriftsteller. Sie sollten die Veröffentlichtung erst mal abwarten. Kabermann stellte sein Buch am Freitag während der Leipziger Buchmesse erstmals der Öffentlichkeit vor. In den kommenden Wochen folgt eine Lesereise, die ihn auch nach Erfurt führen wird. "Man muss abwarten, wie die Leute reagieren. Es kann sein, dass sie mich als Blitzableiter benutzen werden." Mit dem Buch wolle er darauf aufmerksam machen, dass die Bluttat nicht vergessen werden soll - "Gleichzeitig müssen die Beteiligten auch nach vorne blicken." "Im toten Winkel" ist ab sofort im Handel erhältlich. Bild: Will mit seinem Roman "Im totel Winkel" warnen und nachdenklich machen: Dr. Friedrich Kabermann