(hm). Ministerpräsident Sigmar Gabriel hat einen Vorschlag zur Schulentwicklung gemacht, der für reichlich Diskussion bei Lehrern und Eltern sorgt. Die vorgesehene Abschaffung der Orientierungsstufe (OS) und die geplante Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre findet nicht nur Zustimmung. "Ob die Forderung nach Beseitigung der Orientierungsstufe alle anstrehenden Probleme lösen kann, ist eine derzeit strittige Frage", eröffnete Visselhövedes Hauptschulleiter Friedemann Götz das Streitgespräch, zu der der Schulelternrat fachkundige Gäste eingeladen hatte.
Akzeptanzprobleme der OS, eine bundesweite Debatte um die 13. Klasse und Probleme der Hauptschulen hätten die Überlegungen zu einer Veränderung ausgelöst, erklärte Eckhard Fasold, ehemaliger schulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Hauptkritik an der OS, die immerhin eine extrem hohe Prognosesicherheit aufweise, gebe es wegen vermeintlicher Unterforderung der guten und Überforderung der schwächeren Schüler. Die Grundidee des Ministerpräsidenten erläuterte Fasold: "Die Grundschule wird eine Schullaufbahnempfehlung geben. Haupt- und Realschule werden zu einer Sekundarschule zusammengefasst, die mit der fünften Klasse beginnt. Die Eltern sollen nach Klasse vier nicht frei über die Schullaufbahn ihrer Kinder entscheiden können. Im Zweifel wird ein unabhängiger Gutachter hinzugezogen." Dass dies ein Diskussionsvorschlag sei, der noch an keinem Punkt festgezurrt sei, betonte Fasold sehr deutlich und erklärte, wo er sich Abstriche vorstellen könnte. Das allerdings konnte Karl-Heinz Klare, schulpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion kaum glauben: "Ein Streit über Inhalte findet doch gar nicht statt. Dafür gibt es Verunsicherung in den Kollegien, einen Stopp bei der Besetzung von frei werdenden Schulleiterstellen und anstehenden Baumaßnahmen, weil niemand weiß, welche Schule in ein paar Jahren noch bestehen wird." Die CDU wolle zwar auch die Orientierungsstufe abschaffen, aber im gleichen Zug die Grundschulen stärken und den verschiedenen Schulzweigen ab Klasse fünf ein stärkeres eigenes Profil verleihen. Das gelte besonders für die Hauptschule, die praxisorientierter arbeiten solle. "Statten wir doch erst einmal alle Schulen mit 100-prozentiger Unterrichtsversorgung aus, bevor wir prüfen, welche Einrichtung was zu leisten imstande ist", so Klare. "Was wir heute in der Bildungspolitik einsparen, müssen wir morgen doppelt und dreifach im Sozialwesen ausgeben", erklärte er und kritisiert das Vorgehen der SPD: "Taktik hat in der Schulpolitik nichts zu suchen." Frank Beckmann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften im Landkreis Rotenburg, zeigte sich als Streiter für die Orientierungsstufe: "Die OS hat die Erfolgschancen gesteigert. Problem ist nur, dass die Schule nicht so ausgestattet wird, wie sie müsste um gute Arbeit leisten zu können." Beckmann befürchtet, dass das SPD-Modell dazu führen werde, dass alle Eltern versuchen, ihre Kinder in die fünfte Klasse auf das Gymnasium zu bekommen. "Nur wer die fünfte und sechste Klasse in der sogenannten Förderstufe Gymnasium absolviert, kommt schon vor der siebenten Klasse in den Genuss der zweiten Fremdsprache. Also: Wer nicht gleich auf das Gymnasium geht, kann kein Abitur machen, ohne Klassen zu wiederholen", so Beckmann. Einer Klage gegen die Einschränkung des freien Elternwillens räumt er gute Chancen ein. Den Fragen des Plenums entnahmen die Podiumsgäste, dass bei den Eltern Stimmen zum Erhalt und zur Verbesserung der OS laut werden. Und das, wie alle drei betonten, nicht zum ersten Mal.