Die Verletzungen beim FC Bayern häufen sich in dieser Saison. Dr. Müller-Wohlfahrt will die Gründe dafür kennen. Einen Verantwortlichen nimmt er in Schutz.
München – Laptop-Trainer oder emotionaler Antreiber? In dieser Frage scheiden sich die Geister. Es ist aber nur ein Beispiel der Trennlinie zwischen vollständiger Digitalisierung und scheinbarer Tradition im Fußball. So tut sich die Kluft auch in der Sportmedizin auf. Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, langjähriger Mannschaftsarzt des FC Bayern, sieht in den aktuellen Entwicklungen so einige Gefahren. Leidtragender der aktuellen Entwicklungen sei ein Bayern-Verantwortlicher, der ohnehin sein Bestes gebe.
Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt | |
---|---|
Geboren: | 12. August 1942 (81 Jahre) in Leerhafe |
Stationen als Vereinsarzt: | Hertha BSC, FC Bayern München, DFB-Team |
Zeit beim FC Bayern: | 1977 bis 2015 und 2017 bis 2020 |
Müller-Wohlfahrt: Bayern-Verletztenmisere beruht auf falscher Diagnostik
Harte Worte von Müller-Wohlfahrt im Interview mit der Welt: „Die moderne Sportmedizin befindet sich nicht im Stillstand, sondern in der Rückentwicklung.“ Das sitzt. Doch die Sportmedizin-Koryphäe teilt nicht nur platt aus, er kann seine Behauptung auch begründen. So werden der Kernspin-Technik ein „zu hoher Stellenwert eingeräumt“. Dadurch würden die Diagnosen „heute zu spät und oft nicht richtig gestellt“.
Ein allgemeines Problem, das aber auch auf den FC Bayern anwendbar sei. Der Rekordmeister ist in dieser Saison in einem hohen Maße von Verletzungen betroffen. „Muskelfaserriss“, „Muskelbündelriss“ oder ganz allgemein „muskuläre Probleme“ dürften die Diagnosen sein, bei denen sich bei Bayern-Fans und -Verantwortlichen in dieser Saison sämtliche Haare aufstellen.
Aber was kann die medizinische Abteilung gegen die vielen Muskelverletzungen tun? Für Müller-Wohlfahrt liegt die Lösung auf der Hand: Man müsse wieder mehr auf die „Sprache des Muskels“ hören. Diese Sprache könne eben nicht durch Kernspin-Untersuchungen gehört werden, sondern müsse mit den Händen erfühlt werden. „Die Technik kann die Hände nicht ersetzen. Das wird sie niemals können.“ Volle Breitseite gegen die medizinische Abteilung des FC Bayern?
Verletzungen beim FC Bayern: Müller-Wohlfahrt spricht Tuchel frei
Natürlich gibt es noch andere Erklärungsansätze, weswegen gerade beim FC Bayern in dieser Saison das Lazarett so prall gefüllt ist. Das eine wären Fehler in der Belastungssteuerung, welche klar in das Aufgabengebiet von Thomas Tuchel fällt. Dem widerspricht Müller-Wohlfahrt jedoch in aller Deutlichkeit.
Tuchel, so Müller-Wohlfahrt, genieße „in Sachen Training und Belastungssteuerung einen sehr guten Ruf“. Der scheidende Trainer sei „der Leidtragende“, weil er immer wieder Stammspieler ersetzen muss, die aufgrund muskulärer Verletzungen ausfallen. Allem voran dürfte der Sportarzt da an Kingsley Coman und Serge Gnabry denken, die in dieser Saison bereits mehrfach passen mussten und auch gerade wieder mit Muskelverletzungen ausfallen.
Müller-Wohlfahrt hält Hybridrasen-Diskussion beim FC Bayern für obsolet
Den Trainer trifft nach der Beurteilung von Müller-Wohlfahrt keine Schuld. Bleibt die Diskussion um den Hybridrasen. Aber auch davon, die Schuld beim Geläuf zu suchen, hält Müller-Wohlfahrt nichts: „Ganz klares Nein! Ein solcher Rasen ist heute Standard. Einen ähnlichen hatten wir schon unter Pep Guardiola. Der wurde sogar gewechselt, war aber nicht schuld an den Verletzungen damals.“
Ob Müller-Wohlfahrt mit seiner Analyse nun recht behält oder nicht, was bleibt, ist eine personell angespannte Lage beim FC Bayern. Doch möglicherweise wird auch der ein oder andere heiß gehandelte Trainerkandidat ganz genau hinschauen, wo die Problemfelder beim Rekordmeister liegen. (sch)