Im Sommer schließt sich das Kapitel von Thomas Tuchel beim FC Bayern. Doch welche Meilensteine gab es auf dem Weg zu seinem Aus?
München – Er kam als die große Hoffnung, eine Ära beim FC Bayern zu prägen. Doch anders als erwartet endet die Amtszeit von Thomas Tuchel im kommenden Sommer nach nicht einmal anderthalb Jahren. Die Zeit von Tuchel beim deutschen Rekordmeister war geprägt von Missverständnissen und unerklärlichen Niederlagen. Ein Rückblick.
Überraschende Nagelsmann-Entlassung – Tuchel übernimmt
Es war eine überraschende Nachricht, welche die Fußballwelt am 23. März 2023 erschütterte. Julian Nagelsmann sollte als Trainer des FC Bayern freigestellt werden, nachdem er zuvor knapp gegen Bayer Leverkusen verloren hatte. Überraschend war dies insofern, da er mit seiner Mannschaft noch die Chance auf alle drei Titel hatte und nicht einmal zwei Jahre zuvor für 20 Millionen Euro als „Langzeitprojekt“ von RB Leipzig zum FC Bayern gekommen war.
Der Grund für seine Entlassung war die Verfügbarkeit von Thomas Tuchel, wie sich am Tag danach herausstellen sollte. Der Nachfolger von Nagelsmann unterschrieb einen Vertrag bis 2025 und stellte seine hohen Ambitionen sofort klar. „Es geht ums Gewinnen, das ist eine Verpflichtung, da kann es keine Missverständnisse geben. Wir sind für drei Titel hier – nichts anderes“, sagte Tuchel bei seiner Vorstellung. Noch am Tag nach der Präsentation von Tuchel kritisierten Joshua Kimmich und Leon Goretzka die Entlassung von Nagelsmann. „Wenig Liebe, wenig Herz“, meinte Kimmich.
Tuchel: Debüt gegen BVB glückt – verspielte Titelchancen binnen zwei Wochen
Das Debüt von Tuchel fand direkt im Topspiel gegen seinen Ex-Club Borussia Dortmund am 1. April statt. Mit einer souveränen Leistung deklassierte man den BVB mit 4:2 und sicherte sich die Tabellenführung. Nur wenige Tage später gab es die erste, folgenschwere Niederlage für den Rekordmeister. Am 4. April verloren die Münchner in der eigenen Arena im Pokal-Viertelfinale mit 1:2 gegen den SC Freiburg. Der erste Titel war futsch.
Nur zwei Wochen nach dem Pokal-Aus gegen den SC Freiburg musste der FC Bayern auch in der Champions League die Segel streichen. Nach einem 0:3 im Hinspiel gegen den späteren Sieger Manchester City kam die Tuchel-Elf im Heimspiel nicht über ein 1:1 hinaus und musste sich auch vom zweiten Titel verabschieden. Noch nach dem Ausscheiden im Viertelfinale der Königsklasse erklärte Tuchel, dass er „schockverliebt“ in seine Mannschaft sei.
Happy End Meisterschaft und ein chaotischer Transfersommer
Am 33. Spieltag, nach einer 1:3-Heimniederlage gegen RB Leipzig, sah es danach aus, als hätte der FC Bayern unter Tuchel auch den dritten Titel verspielt. Doch am 27. Mai kam der BVB am letzten Spieltag nicht über ein 2:2 im Heimspiel gegen Mainz 05 hinaus und musste zusehen, wie sich der Rekordmeister durch ein Tor von Jamal Musiala in der Schlussphase von Köln noch die deutsche Meisterschaft sichern konnte. Tuchel reckte erstmals in seiner Karriere die Meisterschale in die Höhe.
Wer dachte, dass es nach dem spektakulären Saisonfinale ruhiger werden würde beim FC Bayern hatte sich getäuscht. In der Transferphase wies Tuchel mehrfach daraufhin, dass der Kader zu dünn sei und Spieler wie Goretzka oder Kimmich eher Achter statt Sechser seien. Damit verärgerte er nicht nur die Verantwortlichen des Clubs, sondern auch seine Spieler. Seine gewünschte „Holding Six“ bekam Tuchel nie und auch bei Wunschspielern wie Kyle Walker und Declan Rice ging er leer aus. Höhepunkt war der gescheiterte Deal von Joao Palhinha am Deadline Day.
Guter Saisonstart – was passiert in Saarbrücken?
Die Generalprobe vor dem Start der Bundesligasaison ging gründlich in die Hose. Mit 0:3 verlor die Mannschaft von Tuchel im Supercup gegen RB Leipzig. Dennoch glückte der Saisonstart und man setzte sich gemeinsam mit Bayer Leverkusen an der Tabellenspitze fest. Als alles nach einer guten Saison aussah, verloren die Bayern vollkommen überraschend am 1. November in der zweiten Runde des DFB-Pokals bei Drittligist Saarbrücken.
Daraufhin prasselte die Kritik nur so auf Tuchel ein. Insbesondere die TV-Experten Didi Hamann und Lothar Matthäus kritisierten den Übungsleiter immer wieder. Der Streit eskalierte vor laufenden TV-Kameras, nachdem der FC Bayern souverän mit 4:0 gegen Borussia Dortmund gewonnen hatte. Dennoch konnte sich der Trainer dem Rückhalt der Verantwortlichen sicher sein.
Souveräner Durchmarsch in der Champions League – erste Niederlage in Frankfurt
Der FC Bayern marschierte fast souverän durch die erste Hälfte der Saison. In der Champions-League-Gruppe stand der Gruppensieg bereits nach vier Spieltagen fest und auch in der Bundesliga war man bis Mitte Dezember ungeschlagen. Am 14. Spieltag setzte es eine heftige Klatsche gegen Eintracht Frankfurt. Nach dem 1:5 räumte Tuchel ein, dass er sein Team mit einer kurzfristigen Taktik-Ansprache überfordert habe.
Gleich zum Rückrundenstart setzte es die zweite Niederlage in der Bundesliga. Gegen Werder Bremen verlor man erstmals seit 2008 wieder mit 0:1 im eigenen Stadion. „Das geht gegen jedes Gesetz des Leistungssports“, meckerte Tuchel nach der Partie. Von dem einst „schockverliebten“ Trainer war nichts mehr zu erkennen. Nach der Niederlage kam es zu einem Fanclub-Treffen am 28. Januar, wo der 50-Jährige erklärte, dass ihn ein Engagement in Ausland, insbesondere in Spanien reizen würde. Eine unglückliche Aussage angesichts dessen, dass Barca-Trainer Xavi kurz zuvor seinen Rücktritt zum Saisonende erklärt hatte.
Die Spitze des Eisbergs: Drei Niederlagen binnen einer Woche
Im Spitzenspiel am 10. Februar hatte der FC Bayern erstmals wieder die Chance an Bayer Leverkusen vorbei auf Platz eins der Tabelle zu springen. Doch es kam ganz anders. Die Werkself deklassierte den Rekordmeister und schickte ihn mit einem 0:3 nach Hause. Xabi Alonso gelang es, Tuchel in der Partie auszucoachen. Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen moderierte die aufkommende Trainerdebatte ab.
Am darauffolgenden Mittwoch sollte es bei Lazio Rom im Achtelfinale der Champions League eine Wiedergutmachung geben. Nach einer guten ersten Halbzeit verliert der FC Bayern das Hinspiel mit 0:1 in der Ewigen Stadt. Tuchel ist über Fragen zu seiner Zukunft genervt. Einmal mehr geben ihm seine Stars, die er mit öffentlichen Angriffen vermehrt gegen sich aufbringt, Rätsel auf. Nur vier Tage später verspielen die Münchner beim VfL Bochum eine Führung und verlieren am Ende mit 2:3. „Ich halte nichts von diesen monströsen Trainer-Unterstützungsbekundungen“, erklärte Dreesen. Tuchel redete die Niederlage unterdessen schön. Drei Tage später, am 21. Februar, verkündete der FC Bayern, dass das Kapitel Tuchel im Sommer endet und eine Neuausrichtung stattfinden soll. (jari)