Rom - Der Status als deutscher Angstgegner gefällt den Italienern. Vor dem EM-Viertelfinale gegen den Weltmeister gibt sich die Squadra Azzura demonstrativ gelassen.
Der Mann, der Deutschland so gedemütigt hat, fehlt an diesem Mittwochvormittag auf dem Trainingsplatz an der Avenue Albert Einstein. Das ist verständlich. Mario Balotelli hat daheimbleiben müssen, es war kein Platz für ihn in dieser italienischen Fußball-Nationalmannschaft. Nicht unter Trainer Antonio Conte, der das Wort Disziplin erfunden haben könnte. Und das für Balotelli bisweilen ein Fremdwort ist.
Aber jetzt spielt Italien gegen Deutschland, den Weltmeister, und zu diesem EM-Viertelfinale am Samstag (21.00 Uhr/ARD), da hat er natürlich etwas zu sagen. Wer, wenn nicht er, der sich vor vier Jahren in die Pose eines römischen Gladiators warf, als er den zweiten Treffer gegen Deutschland im Halbfinale der EM 2012 erzielte (2:1). "Respektiert sie, aber fertigt sie ein weiteres Mal ab", ruft Balotelli der Squadra Azzura zu.
So viel Aufmunterung ist gar nicht nötig. Die Stimmung auf dem Trainingsgelände von Montpellier HSC ist prächtig. Es wird gelacht und gespaßt. Mit der Pünktlichkeit nimmt man es auch nicht so genau, Trainer Conte dirigiert mit azurblauer Baseball-Kappe: Locker, lässig - demonstrativ entspannt. Und von daheim vermittelt nicht nur Balotelli Zuversicht.
Zweifel? An der Mannschaft? An Conte? War da was? Die Gazzetta dello Sport feiert Conte neuerdings als besten Trainer der Welt. "Mourinho, Guardiola, Simeone, Klopp und Luis Enrique: Kein Trainer ist so weit gekommen, nachdem er von so weit unten gestartet ist", schreibt die größte Sportzeitung des Landes.
Das 1:4 im März gegen Germania? Längst vergessen. Viel lieber erinnerten die italienischen Medien an die großen Momente bei großen Turnieren: mit Italien als immer wiederkehrendem Sieger. "Die Niederlage im März war nur ein Freundschaftsspiel. Und außerdem: Sie haben uns nie bei einer WM oder EM geschlagen. Nie!", schrieb die Gazzetta dello Sport: "Vom 4:3 1970 bis zu Balotelli - so viel Freude."
Vor der EM hatte das noch ganz anders geklungen. "Der Unterschied zwischen uns und den Besten der Welt ist einfach zu groß. Wir sind vom Niveau der Deutschen zu weit entfernt und können nicht einmal auf ein Wunder bis zur EM hoffen", hatte der Corriere dello Sport konstatiert. Tuttosport hatte dem Trainer jegliche Kompetenz abgesprochen. "Conte macht einfach alles falsch."
Italien, schrieben sie bei Tuttosport noch hämisch, solle doch am besten "auf die EM verzichten". Und jetzt? Die Tifosi daheim sind überzeugt. 18 Millionen sahen das Spiel gegen Spanien, 80 Prozent Marktanteil. Seit diesem überzeugenden 2:0 gegen den Titelverteidiger sind die Zweifel wie weggeblasen. Vergessen nun, dass die angeblich "schlechteste Squadra" seit Jahrzehnten nach Frankreich fuhr.
Jetzt trainiert da in Montpellier eine Mannschaft, der man die breite Brust anzusehen scheint. Selbst die Probleme im Mittelfeld mit den verletzten Daniele de Rossi und Antonio Candreva sowie dem gelbgesperrten Thiago Motta wird Conte, so die Hoffnung, schon lösen. "Nur Verlierer suchen nach Ausreden", sagte Alessandro Florenzi.
"Die Azzurri sind zwar nicht die Favoriten gegen Deutschland, sie sind aber gut organisiert und als Mannschaft zuletzt stark gewachsen", betonte Guiseppe Bergomi, Weltmeister von 1982, im Gespräch mit dem SID, "und werden den Weltmeistern bestimmt zu schaffen machen."
Das weiß auch Bundestrainer Joachim Löw. Auch wenn der natürlich von einem "Trauma" gegen die Squadra nichts wissen will. "Wir haben kein Italien-Trauma", sagt er. Auch Conte hat alle Erinnerungen an die Geschichte schon verboten: "Wir werden eine absolut perfekte Vorstellung brauchen, da zählt die Vergangenheit nicht."
Balotelli verkörpert die Vergangenheit. Balotelli demütigte Deutschland - und wurde im Finale 2012 von Spanien gedemütigt. Er legt sich dennoch fest: "Wer Eruopameister wird? Italien!"
Alle Informationen rund um die EM finden Sie in unserem Ticker von Mittwoch.
sid