Evian-les-Bains - Noch immer muss Thomas Müller auf seinen ersten Treffer bei einer EM warten. Der Bayern-Stürmer geht damit jedoch gelassen u. Eine Sache ärgert ihn aber doch.
Wieder ein Spiel ist vergangen, in dem er nicht getroffen hat, diesmal hat er einen Elfmeter, eigentlich seine Spezialität, nicht über die Linie gebracht. Es müllert nicht beim Thomas, der WM-Torschützenkönig von 2010 und mit fünf Toren auch 2014 auftrumpfende Müller hat bei Europameisterschaften (2012 und jetzt) die Null stehen.
Er wirkt locker, er spielt jede Minute, er leistet unglaubliche Laufarbeit, ein jeder betont den immensen Wert, den er fürs Team hat – aber sind nicht Tore sein Benzin, sein Antriebsstoff?
Tore sind für Müller der Speziallack
„Tore“, sagt Thomas Müller ganz spontan, „sind nicht mein Benzin. Sie sind Speziallack auf dem Auto, das es schöner aussehen lässt.“ Und er erzählt, wie er etwa 2010 empfunden hat, beim Turnier, bei dem er international erstmals auffällig wurde: Schöne Sache, zweifellos – „aber 2014 hatte ich ungleich mehr Spaß“. Denn Deutschland schied nicht wie in Südafrika im Halbfinale aus, sondern wurde Weltmeister. Dass er im Finale nicht traf, hat Thomas Müller kein bisschen gestört. Und wenn man nun noch einmal die Bilder vom Samstag in Bordeaux zur Hand nimmt, sieht man auf ihnen einen Thomas Müller, dessen Miene nach dem Elfmeterschießen, das die DFB-Elf 6:5 gewann, die pure Freude ausdrückt. Ungeachtet seiner Fehlleistung vom Punkt.
„Eine Krawatte“, sagt Müller, „hatte ich im Turnier nur einmal“. Das ist ein jugendsprachlicher Begriff für Enttäuschung. „Die erste Chance gegen Nordirland“, die habe er versemmelt, das ärgerte ihn. Doch schon der Flugkopfball an den Pfosten kurz danach – gut gemacht; Pech halt, dass er nicht reinging. Noch hat sich eben die entscheidende Situation nicht ergeben für ihn. Gerne würde er ein Tor schon deshalb schießen, damit die ewig gleichen Fragen nicht mehr gestellt werden. Nur in der öffentlichen Wahrnehmung spitzt sich die Torlos-Geschichte des Torjägers zu – „um dann aber zu explodieren“, wie Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff hofft.
Woher Thomas Müller all diese Energie nimmt, um sich am Saisonende jede halbe Woche aufs Neue einem epischen Kampf zu stellen? „Ich bin ein guter Esser“, sagt er, „obwohl ich nicht viel auf den Rippen habe.“ Doch es ist weniger die körperliche Beanspruchung, die ihn auf längere Sicht besorgt („Jeder normal trainierte Mensch kann alle vier Tage intensive Läufe absolvieren“), sondern die im Kopf. Müller liest viel, er ist auf dem Laufenden und verfolgt die Diskussionen um eine Ausdehnung des Spielkalenders.
„Wir Nationalspieler“, führt er aus, „bekommen nach der EM drei Wochen Urlaub. Doch im Verein geht’s inzwischen schon wieder los. Wenn wir einsteigen, sind wir hinten dran.“
Bei Spielern seiner Güteklasse kommt dazu, „dass man mit einer gewissen Bekanntheit auch weniger private Ruhepausen hat“. Wo einer wie Müller auftaucht, wird er erkannt, Wünsche werden an ihn herangetragen. Thomas Müller muss auch als Privatmensch immer der Fußballstar Müller sein.
„Einmal tief Luft holen und dann gleich wieder unter Wasser gedrückt werden“, so beschreibt er das rastlose Leben, „nicht jeder kommt damit zurecht.“ Er schon, er will „nicht klagen, aber man soll es auch nicht unter den Teppich kehren“.
Günter Klein