Saint-Denis - Nun also Viertelfinale gegen Deutschland. Wieder ein Gegner, den Italiens Trainer Antonio Conte über das eigene Team stellt. Wie Belgien. Wie Spanien. Beide schlug er dann 2:0. Was hat Conte für Samstag vor?
Sie sind das älteste Team der EM, und das sieht man ihnen an. Emanuele Giaccherini, den kleinen putzigen Mittelfeldwusler aus Bologna mal ausgenommen, haben die Italiener Haudegen-Gesichter. Hoher Stirnansatz bei manchen, Ringe unter den Augen, und soweit der Bartwuchs es nicht verdeckt, eine Furchenlandschaft zwischen Nase und Mund. Es ist eine Wir-um-die-30-Mannschaft – mit einem Torhüter, dem ewigen Gigi Buffon, der Richtung 40 unterwegs ist. Es müssten in einer großen Fußballnation schon längst andere Spieler da sein. Italien hat sie nicht. „Vom Talent her“, sagt Trainer Antonio Conte, „ist das nicht unsere beste Zeit.“ Trotzdem: Die Squadra Azzurra funktioniert.
„Wir sind ein Team mit Werten“, so erklärt Conte die Rolle, die Italien bei dieser Europameisterschaft spielt als souveräner und nach zwei Spieltagen feststehender Vorrundengruppensieger und als Herausforderer von Deutschland im Viertelfinale. „Ich habe, als ich die Nationalmannschaft übernommen habe, immer gesagt, dass es nur dann vorwärts geht, wenn wir versuchen, wie ein Team zu sein, das eine Ligensaison spielt.“
EM 2016 Viertelfinale: Der Mister plant sein Meisterstück
Begeisterung zu wecken, Spieler zu gewinnen und ihre Hingabe für ein gemeinsames Ziel – dem hat Conte sich nun zwei Jahre lang gewidmet. „Auf diesem Feld“, sagt Abwehrspieler Leonardo Bonucci, „ist der Mister ein Meister.“ Mister – so nennt man in Italien als Spieler seinen Vorgesetzten, den Trainer. Es ist auch eine Ehrbezeugung: Die Autorität des Vorgesetzten ist anzuerkennen.
„Ich war als Spieler einer, der hart gearbeitet hat, und als Trainer bin ich genauso“, sagt Conte, der, so wie es läuft, ja eigentlich weitermachen müsste in seinem Job. Doch er hat für seine Zukunft eine andere Entscheidung getroffen: Er kehrt zurück in den Vereinsfußball und wird Trainer des FC Chelsea, „ich werde meine Herausforderung im Ausland erleben“. Aber er ist sich sicher: „Diese Mannschaft bleibt in meinem Herzen.“
Doch zunächst soll die wundersame Reise noch weitergehen. Antonio Conte empfindet „Genugtuung, dass ich die richtigen Spieler habe“. An seiner Personalauswahl war zuhause gezweifelt worden, die 1:4-Testspielniederlage gegen die Deutschen in München hat das Land getroffen. Doch so, wie lange Deutschland an Italien verzweifelt war, so hatte Italien unter Spanien zu leiden gehabt – und damit ist nun Schluss. „Wir sind aus diesem unseligen Zyklus heraus“, jubiliert Giorgio Chiellini, Abwehrrecke und Schütze des 1:0. Das schöne Erlebnis von Saint-Denis verscheucht das Trauma von Kiew, die 0:4- Niederlage im Endspiel der EM vor vier Jahren. Und es war nicht das einzige Scheitern an Spanien.
Conte zum Spiel gegen Deutschland: "Titanische Anstrengung"
Von Spanien hatte Conte eine hohe Meinung, von Deutschland eine noch höhere. „Das“, erklärt er, „ist die beste Mannschaft des Turniers, sie steht noch ein Stück über den anderen. Dieses Spiel wird uns eine titanische Anstrengung abverlangen, wir müssen noch mehr als etwas Außergewöhnliches liefern“. Ein Handicap: Daniele de Rossi, Mittelfeldmann mit über 100 Länderspielen, hat sich beim 2:0 gegen Spanien an der Hüfte verletzt, Positions-Double Thiago Motta wird gesperrt sein. In Sachen de Rossi hat der Wettlauf der Mediziner mit der Zeit begonnen. Conte sagt: „Daniele muss zu 100 Prozent fit sein, damit er gegen Deutschland 120 oder 130 Prozent abrufen kann.“ Conte will „richtige Tiere da draußen sehen“.
Ist er ein Heißmacher oder ein durchtriebener Taktiker? Sowohl als auch. „Ich versorge meine Spieler mit sehr vielen Informationen“, sagt er, und das Spiel der Italiener offenbart mehr als die Idee des Verteidigens. Die Spanier erlebten eine Halbzeit lang einen Chancenwirbel der Squadra. Conte spricht aber nicht nur das Hirn, sondern auch das Herz seiner Spieler an. „Ich komme Leuten schon sehr nahe, wenn ich mit ihnen arbeite“, sagt er. Für die Partie gegen Spanien gab er die Losung aus: „Es ist ein Spiel ohne Morgen – für einen.“ Es war dann der andere.
Antonio Conte ist kein Coach, der bei einem solchen Match ruhig und mit verschränkten Armen dasteht. Der Schiedsrichter musste ihn ermahnen, weil er einmal vor Wut über einen Fehler des eigenen Spielers einfach den Ball wegdrosch. Aber dann schaltet Conte eben sofort um auf versöhnlich und demütig.
Und am Ende sieht er alles aus ironischer Distanz. Was er wohl wieder rumgetigert ist an der Seitenlinie und in seiner Coaching-Zone? „Eine GPS-Auswertung meiner Laufleistung“, sagt er, „würde mich wirklich mal interessieren.“
Hier geht es zum tz-Spielplan der EM 2016.