Immer mehr Stars gönnen sich während der Länderspielperiode eine Verschnaufpause. Zum Ärger von England-Kapitän und Bayern-Star Harry Kane.
München – Die Statements, die Harry Kane unter normalen Umständen gibt, kann man fast übereinanderlegen.
In der Kabine des FC Bayern sind die Floskeln, die der 31-Jährige gerne nach erfolgreichen Spielen verbreitet, schon ein „running gag“, marginale Abänderungen gibt es eigentlich nur den Spielverlauf oder der Anzahl der eigenen Tore betreffend. Und richtig schimpfend hat man den Stürmer sowieso öffentlich noch nie erlebt.
Deshalb kommt das Video, das aus dem Lager der englischen Nationalmannschaft am Mittwochabend verbreitet wurde, auch so ungewohnt daher. Es zeigt einen Harry Kane, der bei ITV Klartext redet – und mit Blick auf einige seiner Teamkollegen sagt: „Es ist eine Schande!“
„Eine Schande“: Harry Kane tierisch sauer auf Mitspieler
Die Mimik des Kapitäns ist dieselbe wie immer, die Schärfe in seinem Ton aber verrät, dass es ihm ernst ist. Denn dass für die aktuell laufende und traditionell unbeliebte November-Abstellperiode gleich acht namhafte Profis abgesagt haben, stößt Kane richtig sauer auf.
„Ich denke, England kommt vor allem anderen. England kommt vor dem Verein. Wenn ich ganz ehrlich bin, gefällt mir das gar nicht“, sagt er und äußert damit eine Vermutung, die auf der Hand liegt. Dass bei den letzten beiden Länderspielen von Interimscoach Lee Carsley Stars im Wert von mehr als 700 Millionen Euro abgesagt haben, mag zum Teil an kleinen Wehwehchen liegen.
Die körperlich „schwierige Phase“ der Saison haben manche aber „vielleicht auch ein wenig ausgenutzt“, sagt Kane. Heißt: Lieber pausieren als mit England gegen Griechenland und Irland um den Aufstieg in die Nations-League-Gruppe A zu kämpfen.
England-Star Kane kritisiert Absagen-Flut bei Nationalmannschaft
Dass sich der EM-Finalist England zwei Spiele vor der Amtsübernahme von Thomas Tuchel in einer Art Schwebezustand befindet, liegt auf der Hand. Trotzdem befeuert das aktuelle Beispiel der „Three Lions“ die Frage, die sich immer lauter stellt, je voller der Terminplan der Profis wird.
Wie viel Wert haben die Nationalmannschaften im Fußball noch, wenn inzwischen in allen Wettbewerben knapp 80 Spiele pro Saison anstehen können? Bei manchen – wie etwa Kylian Mbappé, der Frankreich zum zweiten Mal hintereinander abgesagt hat und Bilder vom Kart-Fahren postete – weniger; bei anderen (noch oder wieder) mehr.
Einen positiven Trend hat Julian Nagelsmann in der leidigen Thematik ausgemacht. Der DFB-Trainer kann es zwar nur mutmaßen, geht aber davon aus, dass vor einem Jahr einige seiner Kandidaten „angerufen und gesagt hätten, ich habe ein bisschen Probleme, ich komme nicht, ich brauche meine Kraft für meinen Verein“.
Zwei Spiele bis Thomas Tuchel: DFB-Team hat keine England-Probleme
Nun seien „alle da“, obwohl der Endspurt des Jahres in die Knochen geht. Der Aufwind im Länderspieljahr 2024 hat sich vor allem aus diesem Teamgedanken und Zusammenhalt entwickelt, den Alexander Nübel wie folgt beschreibt: „Das hier ist die Spitze – jeder will hier sein.“
Nationalspieler beim FC Bayern: Davies pausiert bei Kanada, Kim muss für Südkorea auflaufen
Auch in den Vereinen ist die Debatte freilich präsent. Während die Clubs tendenziell versuchen, ihre Spieler zu schützen, wollen die Verbände das Maximale für sich rausholen. Im Fall von Alphonso Davies ist das in der laufenden Abstellperiode nicht gelungen: Der Kanadier pausiert wegen „Erschöpfung“.
Dafür reiste Minjae Kim zur südkoreanischen Nationalmannschaft, obwohl der FC Bayern ihm die beiden Partien in Kuwait und in Jordanien gegen Palästina gerne erspart hätte. Zur Wahrheit gehört aber auch: Beim 1:0 in St. Pauli am vergangenen Wochenende hätten die Münchner den Innenverteidiger auch früher auswechseln können, um ihn etwas zu schonen, aber er spielte durch. Nicht selten sind die Spieler bei kleinen Wehwehchen auch im Gewissenskonflikt.
Um diesen zu vermeiden, gibt es für viele nur ein probates Mittel. Weltfußballer Rodri hatte schon im September einen Streik angeregt, Bayern-Verteidiger Dayot Upamecano sagte nun dazu: „Ja, warum nicht? Ich habe bereits gesagt, dass es viele Spiele gibt. Das ist ein Thema, das wir unter uns besprechen müssen. Ich hoffe, dass sie das eines Tages verstehen werden.“ Was Harry Kane dazu sagt? Womöglich Zeit für den nächsten Klartext-Auftritt. Hanna Raif, Philipp Kessler