In Deutschland stagniert die Entwicklung im Frauenfußball - anders als weltweit

Große Sprünge: Die Fußballerinnen der Nationalmannschaft machen sich warm.
 ©dpa

Bei der WM kämpfen die deutschen Profi-Fußballerinnen nicht nur um Titel, sondern auch um Anerkennung.

Das erste Wort bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft nach der Ankunft gehörte Melanie Leupolz. Als die Fußballerin in dem Anbau des idyllisch gelegenen Golfhotels in der bretonischen Gemeinde Bruz zur Pressekonferenz erschien, vergrub die 25-Jährige ihre Hände in den Ärmeln eines schwarzen Kapuzenpullovers. Was unweigerlich Assoziationen weckte: Würde sie danach eine Hand mit acht Fingern herausziehen?

Leupolz spielt in dem auf Youtube mehr als zwei Millionen Mal aufgerufenen Werbespot der DFB-Frauen – der mit dem Spruch provoziert: „Wir haben keine Eier – wir, wir haben Pferdeschwänze“ – eine Hauptrolle: Die Mittelfeldspielerin des FC Bayern ist diejenige, die die Frage nach den gewonnenen Europameistertiteln mit ausgestreckten acht Fingern beantwortet. Mit rot lackierten Nägeln übrigens. „Weißt Du, wie ich heiße?“ fragt am Anfang Kapitänin Alexandra Popp. „Und ich?“ Das kommt von Leupolz. Dann ertönt: „Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt.“ Warum eigentlich nicht?

Leupolz gilt bei der Fußball-WM der Frauen als Schlüsselspielerin

Die aus Wangen im Allgäu stammende Europameisterin und Olympiasiegerin bringt vieles mit, um ihre Sportart angemessen zu vermarkten. Sie behauptete sich lange mit Jungs beim TSV Ratzenried, ehe sie durch die Fördersysteme im Deutschen Fußball-Bund (DFB), vor allem über die Fußballschule des SC Freiburg, zur hoffnungsvollen Nationalspielerin reifte. Für die WM in Frankreich (7. Juni bis 7. Juli) gilt die Nummer 18 als Schlüsselspielerin. „Fighterin“ steht unter ihrem Konterfei auf den Postern, nach denen beim Training in Pont-Péan französische Schulkinder griffen. Leupolz ist attraktiv und intelligent, witzig und glaubhaft – und kann versichern, dass die weiblichen Protagonisten nicht bis tief in die Nacht an der Playstation daddeln werden. Was 2018 in Russland bei den Männern passierte, bis Manager Oliver Bierhoff den Stecker zog.

Der für alle Nationalmannschaften zuständige DFB-Direktor weilt gerade im niederländischen Venlo für die Länderspiele in Weißrussland und gegen Estland. Das hat eben Priorität. Am Pfingstsamstag zeigt erst die ARD den WM-Start der Frauen gegen China (15 Uhr) aus Rennes, dann RTL das EM-Qualifikationsspiel der Männer aus Borissow (20.45 Uhr). Es dauert noch ein bisschen, bis die Fußballerinnen den Sommer wirklich für sich haben.

Dem Weltverband Fifa kommt das Frauen-Turnier sehr gelegen, um von den Machenschaften in ihrer Männerwelt abzulenken. Präsident Gianni Infantino traf sich am Dienstag mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, um ein Abkommen abzuschließen, mit dem über Frauenfußball Gleichberechtigung und Erziehungsmöglichkeiten in Afrika gefördert werden sollen. Bis 2026 ist das Ziel, dass weltweit 60 Millionen Frauen und Mädchen Fußball spielen. Für die Frauen-WM 2023 haben sich mit Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Japan, Südkorea, Neuseeland und Südafrika neun Länder beworben. So viele wie nie zuvor.

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Die Fifa hat das Preisgeld der WM 2019 auf 30 Millionen Dollar verdoppelt. Und am Mittwoch verkündete Infantino auf dem Fifa-Kongress in Paris vollmundig: „Die WM wird die beste Frauen-Endrunde aller Zeiten. In Frankreich wird die Welt die Explosion des Frauenfußballs erleben.“ Auf jeden Fall tut sich etwas.

Und in Deutschland? Die Generalprobe gegen Chile lockte an Himmelfahrt erst zum zweiten Male in den vergangenen vier Jahren mehr als 10 000 Zuschauer zu einem Heim-Länderspiel. Vor der Regensburger Arena beobachtete die langjährige Bundestrainerin Tina Theune, unter der Deutschland 2003 erstmals Frauen-Weltmeister wurde, die Einfahrt des Mannschaftsbusses. Wie Kinder mit schwarz-rot-goldenen Fahnen wedelten, aber auf ihren Deutschland-Trikots stand nicht Leupolz, sondern Müller. Die 65-jährige Theune glaubt, dass ihre Generation Spielerinnen viel besser in den Köpfen der Menschen verankert war: „Birgit Prinz, die kannte jeder.“

Fußball-WM der Frauen: 75.000 Euro winken den Deutschen für den WM-Sieg

Seitdem es immer mehr Termine und Turniere im Männerfußball gibt, werden die Nischen für andere Sportarten immer kleiner. Auch der Frauenfußball gehört zu den Leidtragenden. „Wir sind ja schon froh, dass während der WM so gut wie keine anderen Großereignisse stattfinden“, sagt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Mit ihrer Persönlichkeit bereichert sie jede Runde. Aber selbst beim Fachmagazin „Kicker“ fielen Vorbehalte erst unter den Tisch, nachdem die 51-Jährige der Nürnberger Zentrale einen Redaktionsbesuch abgestattet hatte. Selten wird der Kampf gegen die Vorurteile so öffentlich geführt wie von Nationaltorhüterin Almuth Schult. Nachdem die Nummer eins einen Vorstoß mit dem Mannschaftsrat abgestimmt hatte, beklagte die Torfrau des VfL Wolfsburg fehlende Unterstützung im Verband, in den Vereinen – und in der Gesellschaft: „Oft werden wir Frauen einfach vergessen. Wir müssen in Deutschland vielleicht auch noch mehr Blockaden im Kopf überwinden.“ Selbst DFB-Mitarbeiter hätten Berührungsängste. „Wie sollen wir denn draußen Vorurteile abbauen, wenn wir im eigenen Verband damit zu kämpfen haben?“ fragte die 28-Jährige. Ihre Kritik kam nicht überall im Verband gut an.

Georg Behlau, Leiter Management Nationalmannschaften, und Heike Ullrich, Direktorin Vereine, Verbänden und Ligen, sind in manchen Punkten anderer Meinung. „Es gibt ein klares Bekenntnis des DFB für den Frauenfußball“, sagen beide unisono. Behlau war früher allein für die Männer, Ullrich für die Frauen zuständig. Nun gibt es zwangsläufig mehr Schnittmengen und auch mehr Austausch. Dass die Bundestrainerin mal eben beim Bundestrainer Joachim Löw anruft, um sich über die Vorzüge einer Dreierkette auszutauschen, hat es früher in dieser Form tatsächlich nicht gegeben.

Aber es brauche auch Ehrlichkeit. Etwa bei der Geldverteilung. „Wenn nun einmal die Männer-Nationalmannschaft das Zugpferd bei Sponsoren und Medienpartnern ist, fällt auch die wirtschaftliche Beteiligung anders aus“, erklärt Behlau. Die Wertschätzung gegenüber der Frauen-Nationalmannschaft ließe sich an anderer Stelle sehr gut erkennen: „Die organisatorischen Aufwände der DFB-Frauen sind durchaus mit den professionellen Bedingungen bei den Männern vergleichbar.“ Hotelauswahl, Größe des technischen Stabes, „da wird an nichts gespart.“ Und die Prämie wurde auch erhöht: 75.000 Euro winken für den WM-Sieg. Rekord. Aber es geht eben nicht immer nur nach oben. Ullrich als die mächtigste Frau auf operativer Ebene innerhalb des Verbands beobachtet die nationalen und internationalen Entwicklungen sehr genau. Andere Nationen haben aufgeholt, während hierzulande das eine oder andere Limit erreicht scheint. Etwa bei den rund 250 000 Frauen und Mädchen, die von mehr als einer Million weiblicher Mitglieder im DFB wirklich Fußball spielen. Oder bei der eine Million Euro, die ein Frauen-Bundesligist im Schnitt umsetzt. „Wir sehen durchaus noch Potenzial und sind in sehr regelmäßigen Diskussionen“, sagt Ullrich. „Wir müssen das Event in der Frauen-Bundesliga verändern.“

Effekt der Fußball-WM der Frauen 2011 ist verpufft

Denn der erhoffte Effekt der Heim-WM 2011 ist verpufft. Der Zuschauerschnitt ist auf rund 800 pro Spiel gefallen, während in Europa bei einzelnen Spielen auf Vereinsebene die Rekorde purzeln. 60.739 Zuschauer sahen im März ein Meisterschaftsspiel von Atletico Madrid. Eine Woche später vermeldete Juventus Turin mit 39.027 Besuchern eine Bestmarke für Italien, wo der Frauenfußball ewig eine stiefmütterliche Behandlung erfuhr. Sogar Mauerblümchen können aufblühen.

„Es ist nicht zu verheimlichen oder schönzureden, dass die internationalen Ligen aufholen“, findet Leupolz. Sie hat es daher nicht verstanden, dass der FC Bayern kürzlich sein Halbfinale der Women’s Champions League gegen den FC Barcelona im kleinen Campus mit einem Fassungsvermögen für nur 2500 Besucher austrug, statt sich in ein größeres Stadion zu wagen. Ihr reichen drei Finger einer Hand, um die Alarmsignale aufzuzählen: „Die Frauen-Bundesliga muss aufpassen, dass nicht noch mehr deutsche Nationalspielerinnen abwandern, sonst verliert sie an Attraktivität. Das Ausland ist sehr verlockend. Es kommt mir so vor, dass es dort mehr Anerkennung innerhalb des Vereins gibt“, vermutet sie. „Manchester United spielt vor doppelt so vielen Zuschauern wie bei uns – und das ist zweite englische Liga. Es muss was geschehen.“

Es passiert ja auch was beim FC Bayern: Die Männer rüsten ihren Kader für ein dreistelliges Millioneninvestment auf, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, während die Frauen die deutschen Leistungsträgerinnen verlieren: Sara Däbritz geht zu Paris St. Germain, Leonie Maier zum FC Arsenal. Die 58-fache Nationalspielerin Leupolz hatte sich früh überzeugen lassen, noch mal für ein Jahr in München zu unterschreiben. „Weil ich einen Riesenstellenwert in dem Verein habe. Deshalb schaue ich mir den Prozess auf jeden Fall noch einmal genau an.“ Aber wenn bis dahin niemand aufwacht, geht auch sie. Das könnte das letzte Wort sein.

Von Frank Hellmann

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