Berlin - War das Sommermärchen erkauft? Für den Zuschlag der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland soll nach einem unbestätigten Bericht des „Spiegel“ Geld aus einer schwarzen Kasse des Bewerbungskomitees geflossen sein. Doch es gibt harte Dementis.
FIFA-Chef Joseph Blatter hatte 2012 bereits Andeutungen gemacht, dass es bei der Vergabe für die WM 2006 in Deutschland Unregelmäßigkeiten gegeben haben soll. Nun sorgt ein „Spiegel“-Bericht über eine schwarze Kasse für neuen Wirbel. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnte dies weitreichende Folgen vor allem für DFB-Präsident Wolfgang Niersbach haben. Doch der DFB nennt die Anschuldigungen „haltlos“.
Wie lauten die Anschuldigungen gegen das deutsche Organisationskomitee?
Konkret geht es um 6,7 Millionen Euro. Diese Summe soll nach unbestätigten Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ der frühere Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfus aus seinem Privatvermögen dem Bewerbungskomitee zur Verfügung gestellt haben. Das Geld könnte laut „Spiegel“ eingesetzt worden sein, um die Stimmen von vier asiatischen FIFA-Exekutivkomitee-Mitgliedern zu gewinnen. Eineinhalb Jahre vor der WM soll Dreyfus das Geld zurückgefordert und über ein FIFA-Konto auch erhalten haben. Der DFB räumte Ungereimtheiten bei einer Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro ein, bestritt aber, dass es zum Stimmenkauf gekommen sei.
Wofür war das Geld offiziell bestimmt?
Das Geld sollte laut Unterlagen für das Kulturprogramm, insbesondere die Eröffnungsgala, genutzt werden. Die Gala von André Heller fand wegen der Rasenproblematik im Berliner Olympiastadion aber nie statt.
Wie plausibel sind die Anschuldigungen?
Schon 2012 hatte FIFA-Präsident Joseph Blatter Andeutungen über Unregelmäßigkeiten bei der WM-Vergabe 2012 gemacht. „Gekaufte WM... Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ“, hatte Blatter der Schweizer Boulevardzeitung „SonntagsBlick“ gesagt und spielte auf die Stimmenthaltung von Wahlmann Charles Dempsey an. Die Empörung in Deutschland war entsprechend groß. Man habe sauber gearbeitet, betonte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Wer waren die entscheidenden Leute im deutschen Organisationskomitee?
Chef und Gesicht der Bewerbung war Franz Beckenbauer, der auf vielen Weltreisen charmant für Deutschland als WM-Gastgeber warb. Als Strippenzieher fungierte hinter den Kulissen der umtriebige Berater Fedor Radmann, der auch eine Zeit lang als Vizepräsident des Organisationskomitees amtierte. Ebenfalls als Vize sowie in der Rolle des Mediendirektors prägte Niersbach das Bild der Bewerbung. Dazu kam Horst R. Schmidt, der als rechte Hand Beckenbauers und als Hirn der deutschen Weltmeisterschaft galt. Nach Radmanns Ausstieg übernahm der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger dessen Posten im Organisationskomitee.
Welche Auswirkungen könnten die Vorwürfe auf die zentralen Personen haben?
Beckenbauer, Zwanziger und Schmidt bekleiden keine wichtigen Sportämter mehr, auch Radmann tritt nicht mehr groß in der Öffentlichkeit auf. So könnte die Angelegenheit insbesondere für Niersbach unangenehme Folgen haben. Der DFB-Boss galt als Kandidat für die wichtigen Ämter bei FIFA und UEFA. Gut möglich, dass die FIFA-Ethikkommission tätig wird. Das Gremium hatte gerade erst Joseph Blatter und UEFA-Chef Michel Platini für 90 Tage suspendiert. Sollten sich die Vorwürfe des „Spiegel“ bestätigen, dürfte es für Niersbach auch beim DFB eng werden.
Was sagen die Verantwortlichen?
Der DFB hat den „Spiegel“-Bericht als haltlos zurückgewiesen, räumt aber Ungereimtheiten bei der Zahlung an die FIFA ein. Die FIFA spricht von „ernsten Anschuldigungen“ und hat den Fall an die Audit- und Compliance-Kommission weitergeleitet. Das Management von Beckenbauer war auf dpa-Anfrage zu einer Stellungnahme nicht bereit.
Wird der Fall juristische Konsequenzen haben?
Damit ist zu rechnen. Der DFB hat Ungereimtheiten bei der Zahlung von 6,7 Millionen Euro eingeräumt. Wird Geld zweckentfremdet, dürfte dies sicher auch die Staatsanwaltschaften in Deutschland und der Schweiz interessieren, wobei auch die Frage einer möglichen Verjährung zu klären ist.
Gibt es einen Zusammenhang mit dem FIFA-Korruptionsskandal?
Viele Gerüchte gehen in die Richtung, dass ranghohe Funktionäre kurz vor ihrem eigenen Sturz noch andere mit in den Abgrund reißen. Die vielen Enthüllungen deuten daraufhin. So war auch die Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken von Blatter an Platini passend zum Rennen um die FIFA-Präsidentschaft publik geworden.
Hat der drohende Skandal Auswirkungen auf die deutsche EM-Bewerbung 2024?
Bislang galt als sicher, dass Deutschland den EM-Zuschlag 2024 erhält. Dafür hat England im Gegenzug das Finale und die beiden Halbfinals der europaweiten EURO 2020 erhalten. Die EM-Vergabe erfolgt 2017. Die Vorwürfe werfen kein gutes Licht auf die deutsche Bewerbung und könnten, so sie denn bestätigt werden und womöglich weitere Erkenntnisse bringen, für ein Umdenken innerhalb der UEFA-Spitze sorgen.
dpa