Nach dem Özil-Beben: Warum schweigt der Großteil der Nationalmannschaft?

Wenig Rückendeckung aus der Nationalmannschaft für Mesut Özil.
 ©dpa / Christian Charisius

Mesut Özils Rücktritt aus der Nationalmannschat hat für großen Wirbel gesorgt. Doch von seinen  Ex-Kollegen aus dem DFB-Team kommt wenig bis nichts. Nur wenige stärken ihrem langjährigen Mitspieler den Rücken. Die meisten schweigen einfach. Warum?

Frankfurt - Der Rücktritt Mesut Özils (29) und die damit verbundenen Anfeindungen gegenüber dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) im Allgemeinen und Präsident Reinhard Grindel im Speziellen waren ein medialer Paukenschlag. Es war mehr als ein Rücktritt aus der Fußball-Nationalmannschaft, mehr als die Konsequenz nach einer wirklich verkorksten WM-Performance. Es war der Anstoß einer landesweiten Rassismus- und Integrations-Debatte, zu der sich Politiker, Funktionäre, Journalisten und Integrationsforscher auf allen erdenklichen Kanälen äußerten. Nur aus den Reihen der eigenen Mannschaft blieb es erstaunlich ruhig.

Von den aktiven DFB-Teamkollegen dankten lediglich Jerome Boateng und Antonio Rüdiger auf ihren Twitter-Accounts dem verdienten und langjährigen Mitspieler und Weltmeister von 2014 Mesut Özil. Von den ehemaligen Nationalspielern äußerte sich Lukas Podolski.

Was sind die Gründe für das Schweigen der Mitspieler, die sich doch sonst zu so vielen Ereignissen des Weltgeschehens äußern? Steht die Mannschaft nur im Erfolg #zsmmn? Ist das hoch gepriesene Mannschaftsgefüge der letzten Jahre doch poröser und zerrütteter als bisher angenommen?

1. Die Kollegen sind im Urlaub

Nach dem peinlichen WM-Aus gegen Südkorea verabschiedeten sich - und das ist ganz normal - die Fußball-Profis in den Sommerurlaub und gehen getrennte Wege bis zum nächsten DFB-Spiel (am 6. September in München gegen Frankreich). Möglich, dass sich die Mannschaftskollegen aus der Ferne nicht zu dem Thema äußern, da sie noch in der Sonne entspannen und von DFB und WM nichts hören und sehen wollen. Erstaunlich aber, dass die Spieler auch im Urlaub fleißig und aktiv auf ihren Twitter-, Instagram-, und Facebook-Kanälen unterwegs sind, zu Özils Rücktritt jedoch schweigen. Keine weiteren „Danke Mesut“-Posts, keine gemeinsamen Fotos aus den guten, alten Zeiten. Selbst Ilkay Gündogan, der mit Mesut Özil durch den gemeinsamen Fototermin mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die politische Debatte schon vor der WM ins Rollen brachte, postet nur lässige Urlaubsfotos aus einem Privatjet auf dem Weg zum griechischen Strand. Rückendeckung für Özil: Fehlanzeige.

2. Das Thema ist zu heiß

Özils Rücktritt war mehr als das Ende der fußballerischen Karriere in der deutschen Nationalmannschaft. Es war ein Affront gegen die Führung des DFB und nach dem gemeinsamen Fototermin mit Erdogan auch eine politische Sache. So viel steht fest. An dem Thema scheiden sich die Geister, inwiefern ein Fußballer, ein Repräsentant Deutschlands auf internationaler Fußball-Bühne, auch Fingerspitzengefühl in Sachen „Political Correctness“ zeigen sollte, ja zeigen muss. Wenngleich die Fußball-Profis von heute gemeinsam und manchmal auch #zsmmn auf dem Platz stehen, vermarkten sich diese und ihre eigens aufgebaute Marke immer selbst. Schweigen sie deshalb zur Özil-Affäre? Wollen die Spieler ihre Reputation beim Verband, bei Fans und Sponsoren nicht verspielen und sich nicht auch ins Kreuzfeuer der vielen Kritiker stellen?

Die Causa Özil ist nach dem WM-Aus und dem Rücktritt politisch und emotional so aufgeladen, dass viele Berater ihren Spieler nahelegen dürften, sich an dieser Diskussion nicht die Finger zu verbrennen. Dabei hätten sie in aufgehitzten Zeiten wie diesen die Möglichkeit, gegenüber ihren Millionen Followern ihre Meinung kundzutun und dadurch etwas Positives zu dieser Debatte beizutragen.

3. Grüppchenbildung größer als angenommen

Dass die #Mannschaft, wie sie sich seit einigen Jahren aus Marketing-Gründen nennt, gar keine mehr ist, wurde schon vor und während der WM in Russland kontrovers diskutiert. Wie tz.de* berichtete, formten sich im DFB-Team zwei Lager. Um diese Gruppen ging es: Auf der einen Seite die Bayern, denen auch Spieler wie Jonas Hector recht zugetan sind. Auf der anderen Seite die Legionäre rund um Sami Khedira, Mesut Özil & Co. Auch Jerome Boateng fühlte sich trotz FCB-Trikots bei der Nationalmannschaft mehr dieser Truppe verbunden.

Wenngleich Löw, Bierhoff und Co. immer wieder Spekulationen über zerrütteten Teamgeist im Keim erstickten und beschönigten, hatte selbst der normale Fußball-Fan das Gefühl, dass bei der WM eher elf Fußballer als eine Mannschaft auf dem Platz standen. Ist das Verhältnis zwischen den Profis gar nicht so tadellos wie sooft dargestellt? Gaben die Mannschaftskollegen insgeheim vielleicht doch Mesut Özil eine Teilschuld am frühen WM-Aus? Ist der ein oder andere Kicker vielleicht auch froh, dass der oft kritisierte Özil nicht mehr für den DFB auf internationaler Bühne aufläuft?

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Wenn die Mannschaft so eng zusammenstehen würde wie vom DFB dargestellt, wären mehr Reaktionen zu erwarten gewesen. So wie bei anderen Rücktritten aus der DFB-Elf. Etwa bei ebenso verdienten Spielern und Weltmeister-Kollegen wie Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Per Mertesacker oder Philipp Lahm.

Ist die Mannschafts-Magie der Nationalmannschaft entzaubert? Sind sie nur eine Mannschaft, wenn sie gewinnen, aber individuelle Fußball-Profis, wenn sie verlieren? Es erscheint irgendwie bezeichnend, dass Nationaltrainer Löw bis dato auch kein Statement zu dieser Debatte abgegeben hat. Erst wenn das Schweigen durch den Trainer und die Ex-Kollegen bricht, wird man die wahren Beweggründe dafür erfahren. Eine Ruhe vor dem Sturm scheint es allerdings nicht zu sein. Dafür ist der Sturm schon zu stark und die Ruhe währt schon zu lange.

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