Der Fußball geriet am Montagabend in Sofia und Paris in den Hintergrund. Während in Bulgarien rassistische Ausschreitungen auf den Rängen den Abend dominierten, zeigten türkische Nationalspieler in Frankreich wieder Militärgrüße. Nun ist die UEFA gefragt.
Paris/Sofia (dpa) - Hitler-Grüße in Sofia, Militär-Salut in Paris: Rassistische Eklats durch bulgarische Fans und die erneute politische Provokation türkischer Nationalspieler haben den Spieltag der EM-Qualifikation überschattet und für Fassungslosigkeit und Sorge in Fußball-Europa gesorgt.
Nachdem die Partie der Bulgaren gegen England (0:6) wegen rassistischer Fan-Ausschreitungen unterbrochen und nur unter Protest der Engländer zu Ende gespielt worden war, stellten sich die Türken beim 1:1 in Frankreich an die Seitenauslinie und salutierten ihren Soldaten-Landsleuten mit der Hand an der Stirn.
Der Fußball zeigte am Montagabend zwei seiner hässlichen Fratzen, der Sport und die Ergebnisse im Kampf um die EM-Teilnahme gerieten in den Hintergrund. Den wiederholt auffällig gewordenen Bulgaren droht eine heftige Strafe. «Die UEFA setzt sich dafür ein, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um diese Krankheit im Fußball zu bekämpfen», sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin am Dienstag und bat auch die Politik um Hilfe, «um Krieg gegen die Rassisten zu führen».
Und auch die Türken, deren provokante Gesten mit der umstrittenen Militäroffensive gegen die Kurden in Verbindung gebracht werden, sehen einem Verfahren des Kontinentalverbandes entgegen. Der Abend, der «eine Schande für den Fußball war» («Daily Mirror»), könnte mit den zwei Brennpunkten in Paris und Sofia noch länger nachhallen.
TÜRKEN-PROVOKATION IN PARIS
Im Stade de France stand ein Bundesliga-Spieler im Mittelpunkt. Weil Kaan Ayhan von Fortuna Düsseldorf in der 81. Minute der Ausgleich gelang, haben die Türken beste Chancen auf die EM-Teilnahme. Nach seinem Tor stellten sich viele Nationalspieler wie schon beim 1:0 gegen Albanien auf und salutierten. Ayhan selbst wiederholte die Geste nicht - und geriet deshalb mit Merih Demiral von Juventus Turin auf dem Spielfeld in einen Disput, wie auf TV-Bildern zu sehen war.
Die Düsseldorfer wollen die Vorfälle mit ihren Spielern Ayhan und Kenan Karaman nach deren Rückkehr aufarbeiten. Nachdem sich die zwei Profis in der ersten Quali-Partie am Freitag salutierend eingereiht hatten, verzichteten sie auf eine Wiederholung - anders als etwa der frühere Hamburger und Leverkusener und aktuelle Milan-Profi Hakan Calhanoglu. «Sie haben es wieder getan, aber in Paris und ins Gesicht Europas ist das - nach allem, was geschehen ist - schlimmer als eine Kriegserklärung», schrieb die italienische Tagezeitung «La Stampa».
In der Causa waren am Wochenende auch die deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Emre Can in den Fokus gerückt, weil sie positiv auf Instagram-Einträge reagiert hatten, in denen türkische Spieler den Militärgruß zeigten. Beide zogen ihren «Likes» zurück. Der Bayerische Fußball-Verband (BFV) teilte indes mit, Amateur-Kicker, die den Militärgruß nachahmen, vor das Sportgericht zu zitieren.
Die UEFA hatte schon vor dem Spiel in Frankreich angedeutet, ein Verfahren gegen den türkischen Verband einzuleiten. Das Regelwerk des europäischen Verbandes verbietet politische Äußerungen in Stadien. Die zuständige Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer tagt am Donnerstag. Ob dann schon Sanktionen verhängt werden, ist fraglich. Möglich sind Geldstrafen, Platzsperren oder sogar Punktabzüge.
Kritikern geht das nicht weit genug. Der italienische Sportminister Vincenzo Spadafora will die Türkei und deren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für die international heftig kritisierte Militäroffensive in Nordsyrien auch sportpolitisch bestrafen und Istanbul das nächste Champions-League-Finale im Mai 2020 entziehen. Das schrieb er in einem Brief an UEFA-Präsident Aleksander Ceferin und meinte, dass man dadurch zeigen könne, dass der Sport ein Instrument des Friedens sei.
RASSISMUS-EKLAT IN SOFIA
Eine friedliche Partie erlebten die Engländer in Sofia nicht. Schon in der ersten Halbzeit zeigten bulgarische Zuschauer auf den Tribünen den Hitler-Gruß und brüllten Affenlaute in Richtung der Spieler, sodass der Schiedsrichter die Begegnung zweimal unterbrach. Greg Clarke, der Vorsitzender des englischen Verbandes (FA), nannte das Geschehen «eine der schrecklichsten Nächte, die ich je im Fußball gesehen habe.» Die FA forderte die UEFA zu einem Verfahren auf.
Deren Boss Ceferin sagte laut einer Mitteilung: «Es gab Zeiten, vor nicht allzu langer Zeit, in denen die Fußballfamilie dachte, dass die Plage des Rassismus eine ferne Erinnerung sei. Die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass ein solches Denken bestenfalls selbstgefällig war.» Er ergänzte: «Fußballverbände allein können dieses Problem nicht lösen. Auch Regierungen müssen in diesem Bereich mehr tun.»
Die Beleidigungen waren «ziemlich klar auf dem Platz zu hören, aber wir zeigten eine großartige Reaktion und ein großes Miteinander, und letztendlich haben wir den Fußball sprechen lassen», sagte Tyrone Mings. Ziel der Attacken war vor allem Teamkollege Raheem Sterling.
Die Engländer hatten vor dem Spiel angekündigt, dass sie das Feld bei rassistischen Beleidigungen verlassen würden. Sie machten das nicht und wurden von Trainer Gareth Southgate in Schutz genommen. «Es war für uns unmöglich, alle zufrieden zu stellen», sagte er. «Leider sind wir durch Erfahrungen in unserem Land abgehärtet gegen Rassismus.»
Wiederholungstäter Bulgarien drohen drakonische Strafen. «Am Ende hat sich das kein bisschen wie ein Sportereignis angefühlt. Es fühlte sich an wie eine offene Wunde, ein Angriff auf die grundlegende Idee von Nationen, die zusammenkommen», schrieb der «Guardian».
Bulgariens Verbandschef Borisslaw Michailow trat am Dienstag auf Druck von außen zurück. «Es ist unzulässig, dass Bulgarien, das einer der tolerantesten Staaten der Welt ist, wo Menschen unterschiedlicher Ethnien und Religionen in Frieden leben, mit Rassismus und Fremdenhass verbunden wird», schrieb Regierungschef Boiko Borissow auf Facebook. Er hatte Michailows Rücktritt gefordert.
Indes deutete Bulgariens Nationaltrainer Krassimir Balakow an, dass die Engländer überreagiert haben. Der Ex-Profi des VfB Stuttgart hatte schon vor Anpfiff gemeint, die Engländer hätten ein größeres Rassismus-Problem als die Bulgarien. «Mmmmh ... da bin ich mir nicht so sicher, Chef», schrieb Sterling noch in der Nacht bei Twitter.
Fußball gespielt wurde am Montag übrigens auch: Die Ukraine machte die EM-Teilnahme durch ein 2:1 gegen Portugal perfekt. Dem Champion von 2016 reichte das 700. Karrieretor von Cristiano Ronaldo nicht.