Rio de Janeiro - Der Doping-Skandal in Russland macht für Rio keinen Unterschied: 271 russische Athleten werden in Rio an den Start gehen - IOC-Boss Thomas Bach findet das okay.
Thomas Bach zeigte die Faust und gab sich im russischen Doping-Chaos kämpferisch - doch nur eine gute Stunde später klangen seine Worte wie Hohn. 271 russische Athleten starten bei den Olympischen Spielen in Rio: Diese Zahl verkündete stolz Alexander Schukow, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees Russlands, am Nachmittag - gut drei Stunden vor dem IOC - und machte Bachs Worte zur Makulatur.
"Wir waren deutlich: Kein russischer Athlet darf antreten, wenn er Sauberkeit nicht nachgewiesen hat", hatte Bach kurz zuvor am Tag vor der Eröffnungsfeier der Spiele in Rio noch entschlossen gesagt und vor 200 Journalisten in der internationalen Pressekonferenz demonstrativ die Faust geschüttelt: "Wir können eine klare Botschaft an saubere Athleten senden: Man kann erfolgreich sein außerhalb eines solchen Systems." Nach einer "klaren Botschaft" in der Russen-Frage sah am Donnerstag aber rein gar nichts mehr aus.
387 Namen standen ursprünglich auf der russischen Athletenliste für Rio, darunter die im Block gesperrten 67 Leichtathleten. Dem McLaren-Report fielen demnach nur 49 Athleten zum Opfer.
Sportgericht CAS kippt Entscheidung zu Russland-Ausschluss
Am Abend folgte der nächste Nackenschlag für das IOC: Das generelle Startverbot für ehemalige russische Dopingsünder in Rio wurde vom Internationalen Sportgerichtshof CAS gekippt. Die entsprechende Regel 3 im IOC-Urteil über Russland sei "nicht durchsetzbar", da sie die Rechte der Athleten verletze. Unter anderem diesen Passus hatte das IOC dazu genutzt, die Whistleblowerin Julia Stepanowa von den Spielen auszusperren.
Wie schwer bestrafte Staatsdoper, denen Bach vor zwei Wochen noch "die härtesten Sanktionen" angekündigt hatte, sahen die Russen in Rio de Janeiro am Donnerstag ohenhin nicht aus. "Die Stimmung ist gut. Wir hoffen, dass es nicht das letzte Mal war, dass hier die russische Fahne gehisst wurde", sagte Schukow, als die russische Trikolore im Olympischen Dorf hochgezogen wurde - lange vor Bekanntgabe der Entscheidung über die Teamgröße.
Bei den hastigen Einzelfall-Prüfungen der Weltverbände, des CAS und der dreiköpfigen IOC-Kommission mit dem deutschen Mitglied Claudia Bokel erhielten die Russen dutzendfach grünes Licht für einen Start in Rio. Boxer, Schützen, Handballer, Volleyballer und natürlich Wladimir Putins Lieblinge, die Judoka - alle wurden durchgewunken, auch die umstrittenen Schwimmer Wladimir Morosow und Nikita Lobinzew.
McLaren kann IOC-Entscheidung nicht nachvollziehen
Eine endgültige Namensliste mit den russischen Athleten in Rio ließ zunächst auf sich warten, deshalb war nicht klar, ob etwa Julia Jefimowa draufstand. Die Schwimm-Weltmeisterin fiel unter den Block von Athleten, die trotz bereits verbüßter Dopingstrafen pauschal vom IOC ausgeschlossen worden waren. Sie hatte vor dem CAS geklagt - und dürfte nach dem Entscheid des Schiedsgerichts vom Abend deshalb wahrscheinlich startberechtigt sein. Die "neutrale Athletin" Stepanowa darf dagagen nicht mehr hoffen - das IOC-Urteil könnte noch mal an Absurdität gewinnen, sollte Jefimowa tatsächlich starten.
"Ich kann den Sportlern in die Augen schauen, weil ich ein reines Gewissen habe", sagte Bach und behauptete: "Wir haben die Unterstützung vieler Sportler." Man könne keine hundertprozentige Unterstützung erwarten, da "hier viel Leidenschaft im Spiel" sei, sagte Bach und wiederholte: "Wir haben noch nicht alle Fakten, der McLaren-Report ist noch nicht abgeschlossen."
Doch in Rio hat Russland gut lachen. Dem Einmarsch einer 271-köpfigen Mannschaft unter russischer Flagge am Freitag bei der Eröffnungsfeier im Marcana steht nichts mehr im Wege.
Ebenfalls am Donnerstag verteidigte Richard McLaren seinen aufsehenerregenden Bericht über das systematische Doping in Russland gegen aufkommende Kritik. "Die Leute haben nicht verstanden, was drin steht, zum Teil auch das IOC und einige Weltverbände", sagte der kanadische Rechtsprofessor der englischen Tageszeitung The Guardian.
McLaren bezeichnete die Diskussion um die Ziele und die Zukunft des Anti-Doping-Kampfes als "politisch und hysterisch". Er kritisierte, das Internationale Olympischen Komitee (IOC) dafür, nie mit ihm über den Bericht gesprochen zu haben. Anders als das Internationale Paralympische Komitee (IPC), mit dem er eng zusammenarbeite.
SID