14-Jähriger gibt Profidebüt: „Ich habe schon mit Vertretern vom DFB über ihn gesprochen“

Offensivspieler Cavan Sullivan gab mit 14 Jahren sein Debüt bei Philadelphia Union.
 ©IMAGO/Ricky Fitchett

Seit 2018 ist Ernst Tanner Spordirektor bei US-Club Philadelphia Union. Im Interview spricht der Traunsteiner über Wunderkind Cavan Sullivan und die Besonderheiten der MLS.

Philadelphia - Die Fußball-Welt staunt über Cavan Sullivan. Mit 14 Jahren und 293 Tagen debütierte der US-Amerikaner, der mit 18 Jahren zu Manchester City wechseln soll, am Mittwoch in der nordamerikanischen Profiliga MLS beim 5:1 von Philadelphia Union gegen New England und löste damit Landsmann Freddy Adu als jüngsten Spieler der Ligahistorie ab. Ernst Tanner verfolgte den historischen Moment mit Stolz. Der Traunsteiner war früher u.a. Nachwuchschef von 1860 München, Hoffenheim und Salzburg. Seit 2018 ist Tanner Sportdirektor von Philadelphia und spricht im tz-Interview über Sullivan, die Talente seines Clubs sowie seine Zukunftspläne.

Herr Tanner, ist es schwieriger, in den USA Sportchef zu sein als in Europa?

Jein. Man muss sich mit dem amerikanischen System vertraut machen und es auch verstehen. Es gibt unglaublich viele Tricks, wie man Mechanismen einsetzen kann. Allerdings ist die Konkurrenz innerhalb der Liga eher überschaubar, da wir gegenseitig Spieler nur unter bestimmten Voraussetzungen abwerben können. 

Eine große Besonderheit ist der Salary Cap, die Gehaltsobergrenze, die pro Team – mit Ausnahme der Top-Stars - für mindestens 18 und maximal 20 Kaderspieler 5,47 Millionen US-Dollar beträgt. 

Der Salary Cap wird von der Liga bezahlt und ist absolut positiv. Gerade, wenn man in Betracht zieht, dass wir die Liga weiterentwickeln wollen. Damit hält man zumindest im Bereich der „normalen“ Spieler die Gehälter einigermaßen in Grenzen. Das schafft zudem eine gewisse Chancengleichheit im Wettbewerb. In der Regel haben wir jedes Jahr einen anderen MLS-Cup-Sieger. Das hat aber auch damit zu tun, dass bei uns nach einer regulären Saison ein Playoff gespielt wird. Das ist ein gravierender Unterschied zum europäischen System.

Auch in Deutschland wurde mal darüber diskutiert, um einen Dauermeister zu verhindern.

Es ist ein System, bei dem auch dem Zufall etwas mehr Spielraum gewährt wird. Wenn man an die vergangenen Jahre denkt, wurden auch Teams, die in der regulären Saison nicht ganz vorne gelandet sind, Meister. Ich denke an Columbus 2023 – oder New York City 2021, die in der Liga nach der regulären Saison damals sogar hinter uns waren.

In den europäischen Ligen kämpfen Mannschaften Jahr für Jahr um den Klassenerhalt. In der MLS ist ein Abstieg hingegen nicht möglich. Welchen Vorteil hat das?

In erster Linie hat man natürlich Planungssicherheit und das kennzeichnet das amerikanische Sportsystem generell. Aber man hat schon auch Druck, auch wenn das eher ein positiver ist. Es geht hier ausschließlich um das Gewinnen. Das passt überdies absolut zur amerikanischen Kultur! 

Bleiben wir beim Thema Geld. Wie kann sich Miami trotz Gehaltsobergrenze einen Superstar wie Lionel Messi leisten?

Das funktioniert mit der Designated-Players-Regel. Diese ermöglicht Mannschaften, bis zu drei Spieler zu registrieren, die die grundsätzlichen finanziellen Grenzen sprengen würden. Normalerweise verdient ein Spieler bei uns nicht mehr als 683 000 Dollar (max. Budget Charge, Anm.) im Jahr plus Boni, die relativ überschaubar sind. Der Designated Player darf mehr verdienen. Diesen Überschuss muss dann aber der Vereinseigentümer zahlen. Genau wie die Ablöse.

Manche Teams haben aber zu den drei Superstars auch noch ausländische Spieler, die bei ihren Ex-Clubs bereits Millionen verdient haben.

Dafür gibt es noch das Targeted Allocation Money, genannt TAM, in Höhe von 2,1 Millionen US-Dollar pro Verein, das für Spieler eingesetzt werden kann, die zwar keine Superstars sind, aber sofort eine ordentliche Rolle in der Mannschaft einnehmen können. Damit kann zum Beispiel das Gehalt für ausländische Spieler lukrativer gestaltet werden.

In der MLS können Vereine Spieler tauschen. Wie kann man sich das vorstellen?

Da muss man differenzieren. In der Regel wird keine Ablöse bezahlt. Man kann nicht einfach auf Spieler oder Staff in der Liga losgehen. Es gibt eine sogenannte Anti-Tampering-Rule. Nur in Absprache mit dem Verein kann man zum Beispiel an Mitarbeiter rangehen. Der Club kann nur dann verneinen, wenn der Mitarbeiter keine bessere Position im interessierten Verein bekommen würde. Bei Spielern muss man anfragen, ob der abgebende Club bereit wäre, den Spieler zu traden. Falls ja, kann er auch gegen Allocation Money gekauft werden. Dann muss man schauen, ob man sich einigen kann. Falls das der Fall ist, wird der Spieler, der bei der MLS unter Vertrag steht, getradet – ob er will oder nicht.

Das heißt, Messi könnte von einer Saison auf die andere plötzlich für einen anderen Verein auflaufen?

Nein, Superstars wie Messi haben eine No-Trade-Klausel in ihrem Vertrag.

Hat sich der Transfer von Lionel Messi im vergangenen Jahr zu Inter Miami für die MLS gelohnt?

In jedem Fall. Alleine mit Merchandising machen Adidas und Miami mit Messi eine Riesen-Kohle. Dazu gibt es den Publicity-Aspekt. Wir haben unglaublich viele Nennungen, wo auch immer er spielt, strömen die Zuschauer ins Stadion. Er hat den Superstar-Status, den die Amis so lieben. 

Inwiefern profitiert Philadelphia Union von Messi?

Wenn Messi mit Miami kommt, könnten wir unser Stadion locker dreimal ausverkaufen.

Die Clubs erhöhen dann auch ihre Ticketpreise signifikant.

Wir haben letztes Jahr im Halbfinale des Leagues Cup gegen Miami gespielt. Das billigste Ticket hat ca. 230 Dollar gekostet. Und das war eine Stehplatzkarte.

Ernst Tanner schwärmt von Cavan Sullivan

Mit Cavan Sullivan hat Philadelphia Union ein Eigengewächs, das ebenfalls Superstar-Potenzial hat. Am Mittwoch hat er mit 14 Jahren in der MLS debütiert. Was hat Ihnen dabei imponiert?

Für sein Alter ist Cavan unglaublich kaltschnäuzig und hat sofort Initiative ergriffen und den Ball gefordert. Dabei hatte er in den wenigen Minuten auch ein paar richtig gute Szenen. Das war schon imposant!

Hat Sie der frühe Zeitpunkt seines Debüts überrascht?

Wir haben natürlich den Altersrekord immer im Auge gehabt und ihn schon entsprechend darauf vorbereitet. Im Wintertrainingslager hat er mit der zweiten Mannschaft schon gegen Profis aus der USL gezeigt, dass er ganz gut dagegenhalten kann. Von daher war es nicht ganz so überraschend für mich, aber die Situation mit der 5:1 Führung im Nacken hat auch dazu beigetragen, dass es ein gelungenes Debüt war.  

Was ist für ihn noch möglich?

Cavan ist sicherlich unter den drei besten Talenten, mit denen ich je gearbeitet habe und ich sehe ihn nicht als Frühentwickler, der irgendwann stagnieren wird. Für mich hat er alle Möglichkeiten, sich zum Weltstar zu entwickeln – auch wenn es noch ein Stück Weg bis dahin ist. Der nächste Schritt ist nun die weitere Integration in die Profimannschaft bei uns mit mehr und mehr Spielzeit und ihn zum Stammspieler in der MLS-Mannschaft zu machen. Er hat bei seinem ersten Auftritt schon gezeigt, dass das in einem zeitlich überschaubaren Rahmen möglich sein wird.

Sullivan wird zu Manchester City wechseln, darf aber erst mit 18 Jahren dorthin. Es gab Pläne, ihn mit 16 Jahren beim belgischen Club Lommel, der ebenfalls zur City Football Group gehört, bis dahin zwischenzuparken. Diese Idee ist vorerst vom Tisch. 

Wir haben versucht, das zu verhindern. Es macht überhaupt keinen Sinn, ihn aus einem gut funktionierenden System und weg von seiner Familie zu nehmen, um ihn in fremder Umgebung und möglicherweise einer schlechteren Liga als unserer spielen zu lassen. Wir sind sehr froh, dass Cavan einen Vertrag bis Ende 2028 bei uns unterschrieben hat.

Sullivan hat kürzlich den lukrativsten Homegrown Deal der MLS-Geschichte. Ist der gerechtfertigt?

Es ist unglaublich, welche Kompetitivität im Jugendbereich um die besten Talente herrscht. Dazu kommt die riesige Aufmerksamkeit, die Cavan bereits in jungen Jahren bekommt. Das ist ein Thema, bei dem man aufpassen muss. Das geht in die falsche Richtung. Wir hatten hier halt leider eine Marktsituation, die uns dazu gezwungen hat, einen solchen Vertrag zu bezahlen.

Wie viel dürfen Talente verdienen?

In der Regel haben wir dafür den Reserve-Minimum Vertrag, der aktuell bei ca. 71 000 Dollar im Jahr liegt. Wir haben zudem auch die Unter-22-Initiative für Toptalente aus dem In- und Ausland. Diese Talente dürfen dabei nur bis zum maximalen Salary Cap von knapp 683 000 Dollar verdienen. Aber diese Spieler fallen nur mit 150 000 Dollar bis zum Alter von 20 Jahren respektive mit 200 000 Dollar zwischen 21 und 23 Jahre ins Salary-Cap-Budget. Das ist wieder einer der interessanten Mechanismen, die uns die Liga offeriert, um das Cap-Budget etwas lukrativer zu gestalten und vor allen Dingen junge Spieler zu entwickeln. 

Theoretisch könnte US-Nachwuchsnationalspieler Sullivan auch für den DFB auflaufen. Seine Mutter hat deutsche Wurzeln. Halten Sie das für realistisch?

Es waren bereits Beobachter aus Deutschland da. Ich habe schon mit Vertretern vom DFB über ihn gesprochen. Die Deutschen haben das Glück, dass seine Mutter deutsche Wurzeln hat. Aber Cavan ist Amerikaner, so fühlt er sich auch.

Von Ihrer Nachwuchs-Expertise profitiert Philadelphia Union. Wie gut sind die eigenen Talente?

Wir haben eine ganz ordentliche Akademie beinander. Cavan ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben einige hochtalentierte Spieler. Das sieht man regelmäßig beim wohl weltweit größten U17-Turnier, dem GA Cup, den unsere Mannschaft gerade zweimal hintereinander gewonnen hat. Mir geht es dabei nicht so sehr um den Erfolg an sich, sondern auch um die Art und Weise, wie wir gespielt haben und mit welcher jungen Mannschaft uns das gelungen ist. Heuer war unser halbes Team um einen Jahrgang jünger, Cavan war sogar zwei Jahre unter der Höchstgrenze. Wir haben europäische und südamerikanische Top-Mannschaften besiegt. In der Vergangenheit war das alles andere als normal, dass ein US-Team das schafft. Das ist schon außergewöhnlich.

Mit Red&Gold Football, ein Joint Venture zwischen dem FC Bayern und Los Angeles FC, will auch der deutsche Rekordmeister vom US-Markt und anderen Kooperationsclubs profitieren. Wie finden Sie das?

Wie soll ich sagen? In der Hinsicht, dass man über LA gut an Spieler und Vereine kommen kann, ist es eine sehr gute Kooperation. Wenn man eins und eins zusammenzählt, kann man sich aber ausmalen, wie viele Kenntnisse Los Angeles von weiteren Kooperationsvereinen wie Grasshoppers Zürich oder Wacker Innsbruck hat. Im Endeffekt ist dieser Zusammenschluss ähnlich wie Multi-Club-Ownership-Geflechte zu sehen.

Wollen Sie in Zukunft noch mal bei einem europäischen Top-Club arbeiten?

Ich habe erst vor Kurzem meinen Vertrag bis 2026 verlängert. Es war ein schönes Ziel, unseren Verein noch mal bis zur WM in den USA zu begleiten. Aus familiären Gründen kann ich teilweise bereits von zuhause aus arbeiten. Nach meinem Vertragsende möchte ich nicht mehr als Angestellter arbeiten. Dann bin ich auch 60 Jahre alt und habe bis dahin über 35 Jahre lang im Profibereich gearbeitet. Dann ist es irgendwann auch mal genug! Interview: Philipp Kessler

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