Seit 14 Jahren bilden Bierhoff und Löw ein Gespann. Am WM-Quartier lassen sich Disharmonien ablesen. „Knallhart“ soll die Aufarbeitung sein.
Watutinki - Das Quartier in Watutinki ist verlassen. Jogis Jungs sind weg, die Aufräumarbeiten aber sind noch im Gang. Kabel werden zusammengerollt, die meterhohen Werbefotos mit Özil und dem Bundestrainer abgehängt und verpackt, das Pressepodium wird abgebaut. Gabelstapler fahren umher, Kleinlaster werden beladen. Aber Watutinki wird dennoch ein Fanal für das missratene deutsche WM-Unternehmen bleiben. Diese Unterkunft, der Joachim Löw schon beim Bezug „den Charme einer guten, schönen Sportschule“ zuschrieb. Sie trug bei zum negativen Geist einer Mannschaft, die in Russland hilflos unterging.
Der „Ungeist von Watutinki“ offenbart auch die Disharmonien zwischen Löw und Kompagnon Oliver Bierhoff, die in der Quartierfrage schon lange vor dem WM-Desaster über Kreuz lagen. Haben auch sie als Duo noch eine gemeinsamen DFB-Zukunft? Hinterfragen müssen sich beide, besonders der Bundestrainer, aber ganz gewiss auch der Teammanager.
Bei Fragen zum Quartier war Bierhoffs Gemütszustand vom Anfang in Südtirol am 23. Mai bis zum Endpunkt in Kasan stets am besten abzuschätzen. Selbst bei der Ankunft in Frankfurt war das noch so. „Wenn Watutinki ein Problem sein sollte, dann ist das wahre Problem, dass es ein Problem ist“, meinte Bierhoff. In Sotschi sagte er mal recht unentspannt: „Ich gehe damit entspannt um.“ Der Manager hat jetzt neun Turniere logistisch organisiert. „Der böse Bube“ sei er häufiger gewesen. Bierhoff blieb standhaft bis zuletzt: „Von der Logistik war es der beste Platz.“ Er wisse das einzuschätzen.
Der erste Nationalmannschafts-Manager der Geschichte
Löw und Bierhoff. Zwei Männer, die viel bewegt haben beim Nationalteam. Sie verantworten eine große Vergangenheit und eine missglückte Gegenwart. Dürfen sie auch noch gemeinsam die Zukunft gestalten? Bierhoff jedenfalls will sich von „einem Misserfolg“ nicht alles zerreden lassen. „Es ändert nichts an dem, was die Spieler, Trainer und auch ich in den letzten 14 Jahren geleistet haben.“
Bierhoff und Löw kamen nach dem EM-Vorrunden-Aus 2004 gemeinsam mit Reformer Jürgen Klinsmann zum DFB. Bierhoff ist überhaupt der erste Nationalmannschafts-Manager in der Verbandsgeschichte. Sie haben gemeinsam Rückschläge erlebt und bestanden. Aber das Verhältnis hat sich in der Außenansicht verändert. Löw, der Entrückte. Bierhoff, der einsame Mahner, der Vermarkter, der Visionär.
Der inzwischen 50-Jährige hat sich jedenfalls anders entwickelt als Löw. Bierhoff ist inzwischen DFB-Direktor, eine Art Superminister im weltgrößten Fußballverband. Über 100 Mitarbeiter, Millionenetat, ein Macht- und Kraftzentrum in der Frankfurter Verbandszentrale. Sein Einfluss wuchs von Jahr zu Jahr, sein Vertrag wurde von DFB-Präsident Reinhard Grindel vor der WM sogar bis 2024 verlängert (Löw 2022).
„Wir brauchen den nächsten Masterplan“
Sein Denkmal schafft sich Bierhoff gerade: Die über 150 Millionen Euro teure DFB-Akademie in Frankfurt. Ein Thinktank, der Fußball „Made in Germany“ in der Weltspitze halten oder nach der WM in Russland wieder dahin zurückbringen soll. „Die Akademie unter Leitung von Oliver Bierhoff ist ganz wichtiges Instrument, um besser zu werden“, sagte Verbandschef Grindel nach dem WM-Aus.
„Wir brauchen den nächsten Masterplan“, sagte Bierhoff schon Anfang März. Er warnte lange im Voraus als Erster vor dem Weltmeisterfluch, den das DFB-Team nach Frankreich 2002, Italien 2010 und Spanien 2014 dann mit dem Vorrunden-Aus in Russland fortschrieb. Mit seinem Spieler-Gen erkannte der ehemalige Kapitän früh Fehlentwicklungen. Stoppen konnte er sie nicht, auch Bierhoff drang wohl zu Löw nicht mehr wie früher durch. Dabei erlebte er als Nationalspieler 1998 die letzten Tage von Berti Vogts als Bundestrainer hautnah mit, ebenfalls den Nationalteam-Zerfall bei der EM 2000 in Belgien und Holland.
Nationalmannschaft zu einer Marke stilisiert
Bierhoffs Leitmotiv lautet: „Wer mich kennt, weiß, dass Stillstand und das Gleiche über Jahre hinweg machen, nicht mein Ding ist.“ Er hat die Nationalmannschaft zu einer Marke stilisiert. Er verantwortet aber zugleich die Entfremdung zur Basis. Fans sind zu Kunden geworden, in der Vorbereitung in Südtirol durften sie kein Training besuchen. Marketing, PR-Slogans („Die Mannschaft“, „#zsmmn“, „Best never rest“) - das DFB-Raumschiff hat den Kontakt zur Erde verloren. In der Erdogan-Affäre um Özil und Gündogan versagten alle.
„Wir müssen gewisse Veränderungen vornehmen“, sagte Bierhoff nun. Verbandschef Reinhard Grindel hat dem Manager die Turnier-Analyse aufgetragen. Er hat den Manager in die Pflicht genommen. „Knallhart“ will Bierhoff bei der Aufarbeitung vorgehen. Er selbst sitzt fest im Verbands-Sattel. In 14 Jahren musste er noch keinen Trainerwechsel vollziehen oder moderieren. Als Assistent Löw 2006 zum Bundestrainer befördert wurde, war das damals noch Klinsmanns letzte Amtshandlung.
Video: Heimreise - DFB-Team verlässt Watutinki
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dpa