Rio de Janeiro - Lange war Tony Martin das Maß aller Dinge im Kampf gegen die Uhr. Auf dem welligen Kurs in Rio gelten aber andere Radprofis wie Toursieger Christopher Froome als Favoriten. Martin hofft trotzdem auf eine Medaille - und hat schon die Tokio-Strecke im Hinterkopf.
Tony Martin hadert. Mit sich, mit dem Material, mit der Form. Warum ist er nicht mehr derjenige, an dem sich die anderen im Zeitfahren orientieren? Warum läuft es seit knapp einem Jahr nicht mehr? „Ich suche nach Erklärungen“, sagte der 31-Jährige. Und fügte vor dem olympischen Kampf gegen die Uhr am Mittwoch (15.00 Uhr MESZ) fast schon fatalistisch hinzu: „Das ist jetzt eine Talsohle, die jeder Sportler mal durchlebt. Ich muss akzeptieren, dass ich nicht absolute Weltspitze bin.“
Trotzdem hofft der dreimalige Zeitfahr-Weltmeister auf eine Medaille. Zwar nicht auf die goldene, dafür hält er „die großen Bergfahrer“ Christopher Froome (Großbritannien) und Tom Dumoulin (Niederlande) auf dem anspruchsvollen Kurs mit einigen Steigungen für zu stark. „Sie haben bei der Tour gezeigt, dass sie die großen Favoriten sind“, sagte Martin.
Das Knie hat gehalten
Aber der Kampf um Platz drei sei offener. „Da rechne ich mir Chancen aus.“ Zumal das lädierte Knie beim Straßenrennen, das er am Samstag als Training für seine Spezialdisziplin genutzt hatte, keine Probleme mehr bereitete. „Das Knie hat drei Stunden lang gehalten“, bilanzierte Martin nach der Hatz durch Rio de Janeiro.
Was aber, wenn es wie bei Tour de France, als er bei den Zeitfahren chancenlos war, wieder eine Enttäuschung gibt? „Wenn der Worst Case eintritt, muss ich halt vier Jahre warten“, sagte Martin. Auch ohne Medaille wären die Spiele in Rio ein grandioses Ereignis. „Ich genieße das hier. Das sind Eindrücke fürs Leben“, betonte der Wahl-Schweizer, der auch kleinere Pannen mit Humor nimmt. So twitterte er am Wochenende mit einem Smilie: „Kein Strom in unserem Haus und der Fahrstuhl funktioniert nicht mehr. Nicht einfach, bis in den 17. Stock hochzulaufen, aber ich habe es geschafft.“
Nicht so schwach wie bei der Tour
Eines ist für den gebürtigen Lausitzer klar: So schwach wie jüngst in Frankreich will er sich auf der 54,6 Kilometer langen Schleife mit Start und Ziel am Atlantik nicht präsentieren. Die Zeitfahren bei der Tour hätten für ihn keine große Aussagekraft, sagte Martin. „Ich denke, dass ich diesmal besser performen kann.“ Und falls nicht, hat er bereits die Sommerspiele 2020 im Hinterkopf, die er dann 35-jährig in Angriff nehmen würde: „Ich hoffe, dass es in Tokio nicht so viele Berge gibt.“
Der Kampfgeist ist trotz der jüngsten Rückschläge also ungebrochen. Und dies, obwohl Martin seit seinem Fiasko bei der WM im September 2015 in Richmond seiner Form hinterherfährt. Damals verpasste er als Topfavorit sein viertes Zeitfahr-Gold - und zog nicht wie geplant mit Rekordweltmeister Fabian Cancellara (Schweiz) gleich. Danach hagelte es häufig Enttäuschungen - so auch bei der Tour. Doch Martin versichert: „Ich habe weiter Lust auf das Zeitfahren. Ich werde kämpfen, um an das alte Niveau wieder heranzukommen.“ Und dann wäre er auch wieder absolute Weltspitze.
dpa