Rio-Experte Bartelt zu Olympia: "Negative Folgen wird man erst sehen"

In Rio sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich sehr groß.
 ©AFP

Rio de Janeiro - Wie wirken sich die Olympischen Spiele auf Rio de Janeiro aus? Experte Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio gibt in der tz eine erste Vermutung ab.

Profitiert die Stadt von den Olympischen Spielen? Die tz hat bei Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio, nachgefragt.

Herr Bartelt, sind die Spiele so verlaufen, wie Sie es erwartet hatten?

Bartelt : Ich hatte gehofft, dass alles einigermaßen störungsfrei und ohne größere Peinlichkeiten abläuft. Im Großen und Ganzen ist das eingetreten. Bei dem Kameraabsturz im Olympiapark hatte das Organisationskomitee Glück, da hätte mehr passieren können. Der Tod des deutschen Kanu-Trainers ist traurig. Aber aus den Erfahrungen der Fußball-WM hatte ich noch größere Befürchtungen. Wenn Dinge unter Hochdruck fertiggestellt werden müssen, wird oft nachlässig gearbeitet. Das hat man am neuen Radweg gesehen, der vor Beginn der Spiele eingestürzt ist und leider zwei Menschen das Leben gekostet hat. Einige negative Folgen wird man erst in ein bis eineinhalb Jahren sehen.

Der Fortbestand der Olympiastätten ist häufig ein Thema.

Bartelt: Offiziellen Zahlen zufolge kostet der Unterhalt der olympischen Sportstätten zukünftig pro Jahr 16,5 Millionen Euro. Das wird interessant, denn das Bundesland Rio ist pleite und bei der Stadt sieht es ohne die Olympiazuschüsse auch nicht gut aus. Das fehlende Geld mindert auch die Chance auf die weitere Entseuchung der Guanabara-Bucht, da bin ich skeptisch. Den olympischen Boulevard am neuen Hafen würde ich positiv hervorheben, auch wenn es über die Entstehung und die Umsiedlung der ehemaligen Bewohner negative Dinge zu berichten gäbe. Aber die Menschen haben ihn angenommen, man spürt ihren Drang, sich unbeschwert im öffentlichem Raum zu bewegen. Nach Geschäftsschluss war das in der Gegend früher nicht möglich und viele solcher gefahrlosen Plätze haben wir nicht.

Dort fährt auch eine Straßenbahn. Sehen Sie generell Verbesserungen im Transportsystem?

Bartelt: Gemessen an dem Geld, das vorhanden war, ist das Ergebnis unzureichend. Die neuen BRT-Schnellbusse binden den Stadtteil Barra und den Westen besser an das Zentrum an. Das ist aber mehr Kollateralnutzen als das Ergebnis einer Bedarfsanalyse, denn die BRT-Linien sollen den Anschluss zwischen Hotelsektoren, Sportstätten und den internationalen Flughäfen sicherstellen. In den vergangenen 40 Jahren hat Rio 40 U-Bahn-Kilometer gebaut, jetzt kommen 16 Kilometer hinzu, das ist toll, aber zu wenig. Es gibt mittelfristig keine Alternative zur U-Bahn, die verkehrs- und stauunabhängig fährt.

Bürgermeister Eduardo Paes hat stattdessen, inklusive kommenden Montag, vier zusätzliche Feiertage ausgerufen, um den Verkehr zu beruhigen und den Leuten empfohlen, zu Hause zu bleiben.

Bartelt: Fragen Sie mal nach, wie der Handel- und Dienstleistungsbereich das in diesen schweren wirtschaftlichen Zeiten findet. Das ist eine administrative Verzweiflungstat der Stadtverwaltung, die die internationale Reputation nicht gefährden will. Viele Leute gehen übrigens trotzdem arbeiten, die meisten Geschäfte haben geöffnet.

Besonders in den unterbesetzten städtischen Krankenhäusern sollen sich diese Feiertage drastisch auswirken.

Bartelt: Das Gesundheitssystem ist ein sehr sensibles Thema. Die gesundheitliche Versorgung ist für die Bürger kostenlos, das ist eine Errungenschaft. Aber es fehlen die finanziellen Mittel dafür. Die materielle Ausstattung ist dürftig, es gibt nicht genug Ärzte. Es ist riskant, ernsthaft krank zu werden, wenn man nicht an das private Gesundheitssystem angeschlossen ist. Menschen, die nicht akute Probleme haben, müssen teilweise bis zu einem Jahr auf eine Operation warten, dann kann es zu spät sein. Diese Probleme sind nicht neu, 2013 haben die Bürger, mit Hinblick auf die WM, Krankenhäuser und Schulen nach FIFA-Standard gefordert und damit als erste auf die überdimensionierten Ausgaben bei Sportgroßereignissen hingewiesen.

Auch die Probleme in den Favelas ergeben sich aus Mangel an Bildungs- und Gesundheitswesen. Wie, glauben Sie, wird sich die Sicherheitssituation nach Olympia entwickeln?

Bartelt: Auch da habe ich leider kein gutes Gefühl. Das Modell der Befriedungspolizei UPP, die 2009 eingeführt wurde, war im Ansatz interessant. Das Projekt hatte drei Ziele. Die Schießereien der Drogenbanden sollten im Zaum gehalten werden, das ist eingetreten. Zudem sollte die Polizei die Menschen als vollwertigen Staatsbürger ansehen, früher war die vorherrschende Meinung, dass man Favela-Bewohner straffrei erschießen konnte, wenn sie einem verdächtig vorkamen. Und drittens sollten mehr Berufskurse und mehr Kultur in die Favelas gebracht werden. Die Ziele zwei und drei wurden leider nicht erreicht und auch bei der Sicherheit geht es den Bach runter. Die Drogenbanden drängen nach vorne und davon abgesehen hat der Bundesstaat kein Geld, um die 40 UPP-Stellen zu finanzieren.

Während der Spiele sollen 15 Personen erschossen worden sein.

Bartelt: Bei uns sterben Bürger, die außerhalb einer Favela an einer Bushaltestelle stehen, von einem Querschläger, das muss man sich mal vorstellen. Noch 2007 wurden allein von der Polizei im Bundesstaat Rio de Janeiro 1300 Menschen erschossen, zwischendurch waren wir runter auf 400, 2015 waren es schon wieder mehr als 600 Menschen. Allein hier in Rio, in einem Jahr! Auch die Zahl der getöteten Polizisten steigt, fast 70 schon in diesem Jahr. Die Statistik ist grausam, absurd und viel zu hoch.

Zusammenfassend: Hat Rio von den Spielen profitiert?

Bartelt: Es ist mittlerweile empirisch einigermaßen belegt, dass Großevents wenig bis nichts für das langfristige Wirtschaftswachstum bringen. Temporär gab es einige Arbeitsplätze mehr. Der Tourismus hatte die Werbung gar nicht nötig, das Image hat unter den vielen negativen Berichten eher gelitten. Die einzigen wirklichen Gewinner sind die Immobilienspekulanten und Bauunternehmen in Barra. Eine positive Sache aber bleibt: In den vergangenen Jahren wurden in und mit den unterschiedlichsten Stellen viele Debatten geführt, wie Großereignisse aussehen sollen. Man kam zum Ergebnis, dass wir reformierte Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften brauchen. Diesen weltweiten Denkprozess hat Rio mit angestoßen.

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