Box-Superstar Kabayel im Interview: „Ich traue Nelvie Gold zu“

Am Freitag kämpft Deutschlands Box-Hoffnung Nelvie Tiafack im Viertelfinale der Olympischen Spiele. Superstar Agit Kabayel drückt ihm die Daumen.

Paris - Zwei Fäuste für ein Halleluja? Nelvie Tiafack ist die deutsche Box-Hoffnung bei den Olympischen Spielen in Paris. Am Freitag kämpft der 25-Jährige im Viertelfinale gegen Diego Lenzi aus Italien. Bei einem Sieg hätte Tiafack Bronze fix. Agit Kabayel drückt seinem ehemaligen Trainingspartner die Daumen. Im tz-Interview spricht der deutsche Box-Superstar u.a. über Tiafack, den Stellenwert der Olympischen Spiele, den deutschen Box-Verband und seine Titel-Pläne.

Herr Kabayel, trauen Sie Nelvie Tiafack zu, die Goldmedaille zu gewinnen?

Auf jeden Fall traue ich ihm Gold zu. Kämpfe bei den Olympischen Spielen unterscheiden sich sehr vom Profiboxen. Man hat immer nur drei Runden, die Fights folgen dicht hintereinander. Der Großteil des Turniers findet auf der mentalen Ebene statt. Jeden Kampf muss man wie ein Finale sehen. So muss man auch kämpfen. Wenn Nelvie das macht, ist alles möglich für ihn. Er muss sich sicher vor niemandem verstecken. Das hat er schon im ersten Kampf gezeigt.

Die Olympischen Spiele sind eine riesige Bühne. Sie sind laut WBC-Rangliste die Nummer zwei der Welt, nach 25 Kämpfen ungeschlagen, und haben Erfahrung mit großen Kämpfen. Was geht dabei im Kopf von Boxern vor?

Bei meinem letzten Kampf in Riad im Mai haben Millionen Menschen weltweit zugeschaut, sogar Cristiano Ronaldo kam extra zu meinem Kampf und hat sich an den Ring gesetzt, um mich anzufeuern. Vor dem Fight hat er mir auch geschrieben. Natürlich merkt man dann, dass der Druck hoch ist. Das Wichtigste ist aber, dass man sich nur auf den Kampf konzentriert. Ich entwickle in solchen Situationen einen Tunnelblick. Bevor ich in den Ring steige, gehe ich die gleichen Abläufe durch. Ich habe dieselben Routinen. Im Kampf selbst bin ich darauf konditioniert, das ganze Drumherum nicht wahrzunehmen. Ich höre nur die Stimme meines langjährigen Trainers. Alles andere blende ich aus. Es ist immer auch eine mentale Schlacht – ob bei großen Kämpfen im Profiboxen oder bei den Olympischen Spielen. Natürlich wird man irgendwann müde, auch der Gegner wird einen treffen. Ab einem gewissen Punkt ist auch die Mentalität sehr entscheidend. Immer weiter zu marschieren und Druck zu machen, ist sehr wichtig.

Mit Tiafack haben Sie früher sogar trainiert.

Stimmt, wir haben mal ein paar Runden Sparring gemacht. Nach wie vor ist Kontakt da. Ich habe Nelvie vor dem Kampf viel Glück gewünscht und natürlich auch nach dem Sieg gratuliert. Aufstrebende deutsche Boxer zu unterstützen, ist mir sehr wichtig.

Wie kämpft Tiafack?

Er hat einen eigenen Stil entwickelt, sich aber auch viel von anderen Boxern abgeschaut. Er bringt eine extrem hohe Dynamik mit. Das ist sehr interessant für die Zuschauer. Er schlägt sehr viel, allerdings nicht so hart. Das ist im Amateurboxen aber auch nicht das Wichtigste. Bis man jemanden k.o. schlägt, vergeht häufig viel Zeit. Es ist wichtig, eine hohe Frequenz zu haben, dynamisch zu sein, das Tempo vorzugeben, eine gute Kondition zu haben und zu marschieren. Das bringt Nelvie mit.

Können Sie auch Lenzi einschätzen?

Ihn habe ich noch nicht gesehen. Er hat aber im Achtelfinale die Nummer eins des Turniers geschlagen. Generell kann ich über Italiener sagen, dass sie im Amateurboxsport immer sehr gut unterwegs waren. Dort gibt es ein gutes Fördersystem. Er ist sicherlich kein Schlechter.

Lennox Lewis 1988, Wladimir Klitschko 1996 und Anthony Joshua 2012 haben Gold gewonnen. Auch Muhammad Ali ist 1960 Erster geworden. Welchen Stellenwert haben die Olympischen Spiele im Boxsport?

Es ist auf jeden Fall eine sehr große Möglichkeit. Vorher ist man eigentlich Amateurboxer und verdient kleines Geld. Wenn man bei den Olympischen Spielen erfolgreich ist, garantiert einem das auch einen sehr guten Promotervertrag. Ich glaube auch, dass Nelvie nach Paris in den Profisport wechseln und sich dort gut präsentieren kann. Dann wird er bestimmt gute Kämpfe bekommen und hochgepusht. Olympia ist die perfekte Bühne für den Übergang in den Profibereich.

Träumen Sie von Olympia-Gold?

Nein. Ich habe relativ spät mit dem Boxen angefangen, deshalb war ich auch nur kurz Amateur. Mein Ziel war es immer, Weltmeister bei den Profis zu werden. Dem habe ich alles untergeordnet. Deshalb wollte ich nie auf Olympische Spiele warten.

Im Mai haben Sie Frank Sanchez souverän besiegt. Sie können nun um die Weltmeisterschaft (WBC) boxen. Wann kämpfen Sie wieder? Was steht als Nächstes für Sie an?

Das Feedback war toll. Ich war der Außenseiter. Jetzt bin ich bei der WBC auf Platz zwei gesetzt, bei BoxRec auf drei. In den gängigen Ranglisten sind nur Usyk und Joshua vor mir. Es ist ein cooles Gefühl, jetzt da oben zu stehen. Im Boxsport herrscht viel Politik. Deswegen muss man die Situation immer richtig einschätzen. Ich habe jetzt den Herausforder-Status. Das heißt, ich habe Anspruch auf einen WM-Kampf, sobald einer frei ist. Usyk und Fury haben eine Rückkampfklausel vereinbart, die kämpfen im Dezember wieder gegeneinander. Ich bin in Gesprächen. In nächster Zeit finden viele Schwergewichtskämpfe statt. Ich der einzige aufstrebende Box-Star, der noch keinen Kampf verloren hat. Deshalb wollen viele gegen mich kämpfen. Aber das muss aus meiner Sicht Sinn machen. Wenn, dann brauche ich einen Kampf, der eine große sportliche Herausforderung für mich ist und an dem ich auch wachsen kann.

Agit Kabayel kritisiert den deutschen Boxverband

Deutschland hat eine große Box-Historie. Macht der Deutsche Boxverband Ihrer Meinung nach einen guten Job?

Nein, absolut nicht. Boxen ist sehr schwierig. Man muss über Jahre bereit sein, Arbeit reinzustecken – ohne zu wissen, ob etwas dabei rumkommt. Wenn es so weitergeht, werden wir immer weniger Boxer haben. Ich habe in meinem Leben noch nie einen Cent Sportförderung bekommen. Das sagt eigentlich alles über den Boxverband aus. Die, die es noch schaffen, sind hungrige Kämpfer, die meistens einen Migrationshintergrund haben, aber trotzdem stolz sind, Deutschland zu vertreten. Das sollte auch in der Öffentlichkeit geschätzt werden und mehr in den Medien stattfinden. Der Verband bekommt die Vermarktung mit Fernsehen & Co. auch nicht hin. Ich merke das ebenfalls. International werde ich von allen großen TV-Sendern eingeladen. Der Trainer von Mike Tyson kommt zu mir und gibt mir Props. In Deutschland klopft dagegen nicht mal das Frühstücksfernsehen an. Das merken natürlich auch die Talente. Es muss eine bessere Förderung geben, wenn man möchte, dass Deutschland wieder eine Boxmacht wie früher wird. Interview: Philipp Kessler

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