Der VfL Wolfsburg wird seinem Ruf gerecht: Die nach Leipzig zweitbeste Defensive der Liga hielt Werder Bremen über neunzig Minuten (fast) durchgehend vom eigenen Tor entfernt. Warum Werder sich so schwertat, erläutert unser Taktikanalyst Tobias Escher.
Lob bekam der SV Werder Bremen in dieser Spielzeit in der Regel für seine Defensive. Die Bremer haben sich im Vergleich zur vergangenen Saison stabilisiert. Doch auch im Bereich der Verteidigung gehört Werder in der Bundesliga allenfalls zur zweiten Garde. Das bewies die Partie gegen den VfL Wolfsburg eindrucksvoll. Die Wolfsburger erteilten Werder eine Lehrstunde, wie modernes Verteidigen funktioniert.
Werder-Coach Florian Kohfeldt baute sein Team im Vergleich zur 1:3-Niederlage gegen Bayern München nur auf zwei Positionen um: Marco Friedl und Milos Veljkovic kehrten in die Startelf zurück. Sie komplettierten die Dreierkette. Kohfeldt stellte sein Team in einem 5-3-2 auf. Romano Schmid reihte sich ins Dreier-Mittelfeld ein. Milot Rashica und Joshua Sargent bildeten den Doppelsturm.
Werder Bremen: Florian Kohfeldt wagt gegen den VfL Wolfsburg mehr Risiko
Werder Bremen war durchaus gewillt, mehr Risiken einzugehen als gegen die Bayern. Ihr Pressing war wesentlich mutiger: Gegen Wolfsburgs nominelles 4-4-2-System rückten die Bremer immer wieder weit heraus. Auf den Flügeln griffen Bremens Außenverteidiger die gegnerischen Außenverteidiger an, während Werder im Zentrum eine Manndeckung spielte. Schmid und Maximilian Eggestein bewachten die gegnerische Doppelsechs, Kevin Möhwald deckte in zurückgezogener Rolle den gegnerischen Zehner Admir Mehmedi.
Bremen suchte früh den Zugriff, fand ihn aber nicht. Der VfL Wolfsburg gab sich keine Blöße: Sie agierten im Spielaufbau ballsicher. Immer wieder banden sie Torhüter Koen Casteels ein. Bei hohem Druck der Bremer wählten sie schon einmal den langen Ball. Häufig schlugen sie diesen auf die rechte Seite, wohin Stürmer Wout Weghorst auswich. Werder konnte keine Ballgewinne verbuchen.
Der VfL Wolfsburg macht Werder Bremen den Spielaufbau schwer
Ganz anders der VfL Wolfsburg: Die Gäste setzten Werder Bremen ein ums andere Mal gehörig unter Druck. Wenn Werders Innenverteidiger den Ball laufen ließen, zogen sich die Wolfsburger im 4-4-2 zurück. Sobald die Bremer einen zu laschen Querpass oder einen Rückpass spielte, preschten die Wolfsburger nach vorne. Weghorst lief durch bis zu Torhüter Jiri Pavlenka, die drei offensiven Mittelfeldspieler dahinter stellten die Passwege zu. Auch die Sechser rückten weit vor.
Wolfsburg brach damit immer wieder den Spielrhythmus der Bremer. Gerade bei Rückpässen waren die Wolfsburger stets präsent. Diese sind im Bremer Aufbauspiel ein wichtiges Mittel, um Angriffe abzubrechen und Spielverlagerungen vorzubereiten. Wolfsburg aber lief diesen Rückpässen derart aggressiv hinterher, dass Werder Bremen häufig unter Druck einen langen Ball schlagen musste. Laut der Statistik-Webseite Whoscored.com schlug Werder über achtzig lange Bälle; ihr Saisonschnitt liegt bei 60. Die langen Bälle eroberte fast immer Wolfsburg.
Werder Bremen bringt sich vor dem 0:2 des VfL Wolfsburg selbst in die Bredouille
Diese langen Bälle verhinderten zumindest, dass Werder Bremen allzu riskant hinten herausspielen musste. Werder vermied gefährliche Ballverluste. Zudem kehrten sie nach Ballverlusten schnell in eine kompakte Ordnung zurück. Auch ihr Gegenpressing funktionierte. Das genügte, um gegen den offensiv uninspirierten VfL Wolfsburg nicht zu viele Chancen zuzulassen.
Das nützte jedoch wenig angesichts der Fehler, die Werder beging. Der erste Schnitzer betraf das Zweikampfverhalten: Werder ging im Mittelfeld überambitioniert zu Werke. Das war nicht unbedingt clever gegen ein Team, das die zweitbeste Standard-Bilanz der Liga vorzuweisen hat. Werder schenkte sieben Freistöße in der eigenen Hälfte her, zudem ließen sie neun Eckbälle zu. Wolfsburg bestrafte dies früh, nach acht Minuten gingen sie nach einem Freistoß in Führung.
Den zweiten großen Fehler beging Werder Bremen kurz vor der Halbzeit. In einer Situation vergaßen sie, dass der flache Spielaufbau am eigenen Strafraum gegen den VfL Wolfsburg tabu ist. Bereits der Pass zu Theodor Gebre Selassie erhöhte unnötig den Druck. Der Tscheche beging den Kardinalfehler, in einer Drucksituation ins Zentrum zu spielen, zumal Möhwald hier nicht freistand. Weghorst bedankte sich und traf zum 2:0 (42.).
VfL Wolfsburg macht die Schotten dicht: Werder Bremen gelangt nicht in den Strafraum
Trotz des 1:2-Anschlusstreffers von Kevin Möhwald kurz vor der Pause (44.) stand Werder in der zweiten Halbzeit vor einer Herkulesaufgabe. Wie sollten sie gegen diese kompakt verteidigenden und immer wieder giftig nach vorne stechenden Wolfsburger Chancen herausspielen? Und das auch noch, ohne dabei Konter einzufangen?
Kohfeldt gelang es nicht, diesen Widerspruch aufzulösen. Werder agierte bis zur 81. Minute im stabilen, aber offensiv harmlosen 5-3-2-System. Auch die späte Umstellung auf ein 3-4-1-2 half kaum. Wolfsburg stand in der eigenen Hälfte kompakt und schob immer wieder nach, sobald die Bremer einen Rückpass spielten. So hielt der VfL Wolfsburg die Bremer aus der eigenen Hälfte. Am Ende fehlten Werder Bremen die spielerischen Mittel, einen derart defensivstarken Gegner auseinanderzunehmen. Selbst der Verlegenheitsversuch, lange Bälle auf Niclas Füllkrug und Davie Selke zu schlagen, brachte höchstens eine Halbchance ein. Werder fand am Samstagnachmittag seinen Meister. Der VfL Wolfsburg zeigte, dass gute Defensivarbeit nicht bedeuten muss, passiv in der eigenen Hälfte zu verharren.