Bremen – Schon mehrfach wurde der SV Werder Bremen für seinen Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung ausgezeichnet. Da verwunderte es schon ein wenig, dass nach den rassistischen Aussagen von Schalke-Boss Clemens Tönnies so gar nichts aus Bremen zu hören war.
Doch Werder-Präsident Dr. Hubertus Hess-Grunewald ließ sich mit einer Reaktion ganz bewusst etwas Zeit und wünschte sich auch einen Rahmen, um sich ausführlich zu diesem Thema äußern zu können. Der DeichStube* gab der 58-Jährige nun ein ausführliches Interview, in dem es nicht nur um Tönnies und Rassismus im Fußball geht, sondern auch um Probleme mit eigenen, gewaltbereiten Fans.
Herr Hess-Grunewald, wie finden Sie Herbert Grönemeyer?
Gut. Ich habe die eine oder andere Platte von ihm. Ich schätze ihn aber auch, weil er sich als Künstler immer mal wieder gesellschaftlich positioniert hat.
So wie jetzt auch: Grönemeyer hat bei einem Konzert wortgewaltig gefordert, „Keinen Millimeter nach Rechts“ zu rücken. Dafür bekommt er nicht nur Beifall. Fühlen Sie sich an Ihre klare Aussage und die Folgen vor einem Jahr erinnert?
Nein. Grönemeyer hat einen Appell gemacht, der sich auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung bezogen hat. Diese Haltung haben wir als Werder Bremen schon immer vertreten und auch kundgetan. Wir stehen grundsätzlich für Integration und Toleranz und gegen Diskriminierung und Rassismus. Bei meiner Aussage ging es direkt um eine Partei.
Sie haben damals gesagt: „Es ist ein Widerspruch, Werder gut zu finden und die AfD zu wählen.“
Richtig. Natürlich gab es auch da Kritik. Aber wir wollten uns sehr deutlich positionieren. Wir haben niemanden ausgegrenzt, sondern ganz klar gesagt: Wir laden alle ein, zu kommen und sich mit uns auseinanderzusetzen, um sich vielleicht dann doch für eine tolerante Gesellschaft zu entscheiden.
Sind der Einladung viele AfD-Wähler gefolgt?
Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Aber meine Erfahrungen in den letzten Monaten zeigen mir: Die Menschen haben verstanden, dass der Fußball mit seiner Strahlkraft in die Gesellschaft hineinwirkt und dass es wichtig ist, solche Signale zu senden. Ich bin froh, dass wir bei Werder Bremen so einen breiten Grundkonsens haben, uns für bestimmte Themen so stark zu machen.
Aber es wird weiterhin Werder-Fans geben, die anders denken und wählen, als es der Haltung des Vereins entspricht.
Ja, damit müssen wir umgehen können. Ich bin ja kein Missionar. Doch ich bin mir sicher: Für viele unserer Fans sind diese Werte wie Offenheit und Toleranz nicht nur ein Lippenbekenntnis. Wir sind alle sensibilisiert, was in unserer Gesellschaft gerade passiert und dass jeder von uns einen Beitrag leisten kann, auch wenn er vielleicht nur sein eigenes Handeln kritisch hinterfragt. Erkennen wir wirklich alle den unbedachten, aber sehr gefährlichen Alltagsrassismus? Am Stammtisch, im Sportverein, beim Fußballschauen? Und treten auch mutig gegen ihn auf? Darauf kommt es an.
Was haben Sie gedacht, als Schalke-Boss Clemens Tönnies in seiner Rede beim Tag des Handwerks gefragt hat, „warum gehen wir eigentlich nicht her und geben das Geld dem Gerd Müller, unserem Entwicklungsminister, und der spendiert jedes Jahr 20 große Kraftwerke nach Afrika? Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren“?
Das hat mich wirklich erschüttert. Die Aussage ist eindeutig rassistisch. Ob Herr Tönnies jedoch ein Rassist ist, wage ich nicht zu beurteilen. Dafür kenne ich ihn zu wenig. Unsere bisherigen Begegnungen, lassen erstmal nicht darauf schließen. Das ist auch nicht mein Punkt. Hinweisen muss man aber auf den Schaden, den diese Aussagen und die Reaktionen darauf, angerichtet haben. Es wäre sehr hilfreich, wenn Clemens Tönnies ein Signal senden würde, dass er den Schaden erkannt und die Kritik verstanden hat. Ein Clemens Tönnies mit den richtigen Rückschlüssen und Wortmeldungen, könnte die gesellschaftliche Debatte in dieser Sache auch voranbringen.
Wird Clemens Tönnies denn überhaupt Rückschlüsse ziehen?
Wir müssen sehen, wie Tönnies nach seiner dreimonatigen Auszeit zurückkehren wird. Er hat schon die Chance, entsprechende Signale zu senden. Ich würde ihn da auch nicht in eine Schublade stecken wollen.
Halten Sie diesen von Tönnies vorgeschlagenen und vom Ehrenrat des FC Schalke abgesegneten Rückzug als Aufsichtsratschef für drei Monate für angemessen?
Der Umgang mit diesen Aussagen hat mich insgesamt schon sehr irritiert. Sehr kritisch sehe ich, dass der Ehrenrat behauptet hat, die Aussage sei nicht rassistisch. Das ist nicht nachvollziehbar und einfach falsch gewesen. Aber ich warne auch davor, jedes falsche Wort mit einer Rücktrittsforderung zu verbinden. Das ist mir zu einfach, weil wir dann die nötige gesellschaftliche Debatte nicht inhaltlich genug führen.
Es wirkt auch so, als würde nach den drei Monaten einfach so weitergemacht, als sei nichts passiert?
Das glaube ich nicht. Schalke hat eine starke und engagierte Fanszene, eine große Initiative gegen Rassismus. Für die ist es eine ganz schwierige Situation. Wenn Schalke wieder glaubhaft gegen Rassismus eintreten will, dann muss eine Veränderung erkennbar sein.
Es haben sich nicht viele Bundesligisten klar zu diesem Thema geäußert. Wirken da Motto-Spieltage wie „Rote Karte für den Rassismus“ überhaupt noch glaubhaft?
Natürlich ist hier für alle Bundesligaklubs in Sachen Glaubwürdigkeit ein Schaden entstanden. Deswegen ist das auch nicht nur eine Schalker Debatte gewesen. Aber ich bin auch überzeugt, dass die Bundesliga-Klubs jetzt erst recht umso deutlicher Orientierung geben und für solche Werte eintreten müssen.
Am 23. November kommt der FC Schalke ins Weserstadion – sehr wahrscheinlich mit Clemens Tönnies, dessen Sperre kurz zuvor abgelaufen ist. Wie werden die Werder-Fans in der nicht gerade unpolitischen Ostkurve reagieren?
Es kann gut sein, dass das Thema aufgegriffen wird. Wir hatten ja bereits nach den Aussagen ein Spruchband zu Clemens Tönnies.
Der Kampf vieler Werder-Fans gegen Rassismus und Rechtsextremismus ist das eine, die Gewalt gegen die Polizei einiger Personen aus dieser Gruppe das andere. Sie haben die Ausschreitungen nach dem Pokalspiel gegen Delmenhorst, bei der einem Polizisten gegen den Kopf getreten wurde, verurteilt und die Solidarisierung anderer Fans mit dem Täter als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Glauben Sie wirklich, dass Sie dadurch etwas ändern?
Für mich stehen der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus und der schlimme Vorfall nach dem Delmenhorst-Spiel in keinem Zusammenhang. Aber wir waren fassungslos, was da passiert ist. Auf ein Autodach zu steigen und einem Menschen gegen den Kopf zu treten, da fehlen mir die Worte. Wenn dann so einem Täter auch noch Schutz gewährt und er vor der Verhaftung geschützt wird, dann frage ich mich wirklich: Für was steht man als Werder-Fan? Für mich gibt es da eine Grenze, und die wurde hier überschritten.
Beim Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion bleiben die Täter ebenfalls unerkannt, weil sie von den umstehenden Fans gedeckt werden.
Ja, es gibt bei gesellschaftlichen Gruppen dieses Phänomen, dass man sich nicht verrät. Das ist auch prägend für Fanszenen. Das Hoffen darauf, dass die Fans sich gegenseitig anzeigen hilft uns auch nicht weiter. Das Thema ist deutlich komplexer. Aber bei dem verletzten Polizisten gibt es für mich keine Diskussion.
Trotzdem: Machen Sie es den Fans mit Ihrem Verständnis nicht zu einfach?
In dieser Frage geht es eben nicht um DIE Fans, sondern es gibt in der Szene Personen, die über Grenzen gehen und das reizvoll finden. Wir haben dafür nie Verständnis gezeigt, dafür ist die aktuelle Pyrotechnik viel zu gefährlich. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt aber, dass Strafen und Ausgrenzung das Problem nicht im Ansatz lösen können. Wir müssen andere Lösungen angehen.
Aber müssten nicht zumindest die unbelehrbaren Fans ausgegrenzt werden?
Wir haben solche Vorfälle wie nach dem Delmenhorst-Spiel leider schon gehabt, und dann wurden diese Dinge auch innerhalb der Gruppen sehr kontrovers diskutiert. Da gibt es auch viel Kritik innerhalb der Gruppen. Unsere Aufgabe ist es, in solchen Gesprächen die „gemäßigten Kräfte“ zu unterstützen. Darüber hinaus kann ich nur auf geltendes Recht hinweisen, das Gruppenbestrafung nicht vorsieht. Wir unterstützen die Sicherheitskräfte bei der täterorientierten Aufklärung. Kann ein Täter identifiziert werden, dann wird er auch durch den Verein bestraft.
Zurück noch mal zu Grönemeyer: Machen Sie sich Sorgen, dass Deutschland nach rechts abdriftet?
Ich mache mir Sorgen, dass der innere Zusammenhalt unserer Gesellschaft, der lange Zeit von einem demokratischen Grundkonsens geprägt war, ein Stück weit erodiert. Wir als Fußball müssen mit unserer Strahlkraft unseren Beitrag leisten, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet, sondern sich auf die ganz wesentlichen Werte des Miteinanders besinnt. Das ist unsere gesellschaftliche Verantwortung.
Muss der Fußball da lauter werden?
Es wäre schön, wenn man bei solchen Themen nicht immer nur von den gleichen Vereinen etwas hören würde. Die Liga muss sich breiter äußern. Das hätte eine größere Wirkung. (kni)
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