Bremen – Es ist einer der Hauptgründe für die katastrophal schlechte Saison des SV Werder Bremen, die um Haaresbreite mit dem Abstieg geendet hätte: die Verletztenmisere. Die Schuld und damit die volle Verantwortung dafür nahm Werder-Trainer Florian Kohfeldt auf sich.
Diesen einen Satz schickte Frank Baumann am Freitagmittag, während der großen Saisonbilanz-Pressekonferenz des SV Werder Bremen, direkt vorweg - damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen. „Wir haben unser Ziel absolut verfehlt, denn wir haben Fehler gemacht“, sagte der Sportchef, der zunächst „die Gesamtverantwortung für diese Saison“ übernahm und dann ausführlich erklärte, welche Fehler genau in die Misere geführt hatten. Die Wurzel allen Übels lag demnach im vergangenen Sommer.
Seit Dienstag hatten die verschiedenen Gremien des Vereins zusammengesessen, um der großen Frage auf die Spur zu kommen, wie die Spielzeit 2019/20 in Bremen derart hatte vor die Wand fahren können. Nur zur Erinnerung: Werder Bremen wollte nach Europa und landete in Heidenheim. „Während der Analyse konnte man sehr gut sehen, dass unsere Saison in drei Drittel einzuteilen ist“, sagte Baumann - und erklärte: „Wir hatten ein katastrophales Mittel-Drittel ab dem elften Spieltag. Die Ursachen dafür lagen allerdings im ersten Drittel, in der Vorbereitung auf die Saison.“ Am Ende, im letzten Drittel nach der Corona-Pause, habe sich die Mannschaft dann in „allen Bereichen“ verbessert präsentiert. Also, was bitteschön, ist im Sommer 2019 so dermaßen schief gelaufen?
Bundesliga-Clubs im Schnitt 742 Ausfalltage pro Saison - Werder Bremen 905 nur in Hinrunde
Nach der starken Serie 2018/19, die in Bremen die beste seit acht Jahren gewesen war, habe der Verein einfach zu viel gewollt. „Wir waren überehrgeizig, haben viele Veränderungen vorgenommen mit dem Ziel, noch besser zu werden“, sagte Baumann. Dieser ungesunde Ehrgeiz habe in einigen Bereichen zu Fehlern und internen Konflikten geführt sowie Probleme und Verletzungen verursacht. Fazit Baumann: „Die Verletzungsseuche und die daraus folgenden Symptome waren nachweislich die Hauptursache für unsere Probleme bis weit in die Rückrunde.“
Diese These stütze der Sportchef mit Zahlen, berief sich auf einen Bericht der Verwaltungsberufsgenosseschaft (VBG). „In deren Report 2019 heißt es, dass die Bundesligaprofis in der kompletten Saison durchschnittlich 742 Ausfalltage haben. Wir hatten allein in der Hinrunde 905 Ausfalltage“, berichtete Baumann. Über die gesamte Saison seien es rund 2000 gehabt. „Aktuelle Studien belegen, dass Mannschaften pro 137 Ausfalltage einen Punkt und pro 271 Ausfalltage einen Tabellenplatz weniger erreichen“, sagte Baumann. Was zweifellos interessant ist, aber immer noch keine abschließende Antwort auf die Frage lieferte, warum sich ausgerechnet bei Werder Bremen derart viele Spieler verletzt hatten. Cheftrainer Florian Kohfeldt klärte wenig später auf - und zwar mit überraschender Selbstkritik.
Werder Bremen-Trainer Florian Kohfeldt verantwortlich für Verletztenmisere? „Ich habe Fehler gemacht!“
„Ich habe Fehler gemacht“, setzte der 37-Jährige an und kam direkt zur Sache: „Die Verantwortung für die Trainingssteuerung und die daraus resultierende Überbelastung, die wir festgestellt haben, liegt bei mir.“ Und weiter: „Ich war getrieben von einem Ehrgeiz, den athletischen Status dieser Mannschaft zu verbessern, um gewisse Dinge im Spiel umsetzen zu können. Und getrieben von der Annahme, dass die Mannschaft dazu bereit ist. Sie war es nicht.“ Heißt: Kohfeldt ließ die Profis während der Vorbereitung zu intensiv, zu hart trainieren, weshalb es bei Werder Bremen zur ungewöhnlichen, fast mysteriösen Häufung von Verletzungen kam. Phasenweise fielen zwölf Spieler zeitgleich aus.
In Baumanns Augen hat sich daraus eine Abwärtsspirale entwickelt. Zusammenfassung: Viele Verletzte bedeutet kein Training mit der kompletten Mannschaft, was wiederum schlechtere Leistungen in den Spielen mit sich bringt, die wiederum irgendwann für Verunsicherung und fehlendes Selbstvertrauen sorgen. Das soll (und darf) Werder Bremen so nicht wieder passieren. Nach der desaströsen Saison werden sie in Bremen zwar wieder sehr ehrgeizig arbeiten wollen, aber von großen Zielen wie Europa wird so schnell niemand mehr sprechen. „Es wird ein Weg, der wieder deutlich mehr den Entwicklungsschritt beinhalten wird“, sagte Florian Kohfeldt. (dco)
Zur letzten Meldung vom 18. Februar 2020:
Die Krankenakte Werder Bremen: Kein anderer Club musste so viele Ausfälle verkraften
Eigentlich ging es nicht, oder sagen wir: wäre es unter normalen Umständen nicht gegangen. Aber was war in der Hinrunde schon normal bei Werder Bremen? Maximilian Eggestein biss jedenfalls auf die Zähne. Spielte beim Jahresabschluss des SV Werder Bremen in Köln, obwohl er stark angeschlagen war.
„Er hat eine schwere Rippenprellung“, sagte Trainer Florian Kohfeldt hinterher über den Spieler des SV Werder Bremen, der zwei Tage zuvor das Geheimtraining hatte abbrechen müssen, der aber partout nicht für den nächsten Eintrag in Werders ohnehin schon daumendicker Krankenakte sorgen wollte.
Insgesamt 18 (!) Spieler aus dem 30 Mann starken Profi-Kader fielen oder fallen noch immer aus. Gemeinsam bringen sie es auf 125 verpasste Pflichtspiele während der Hinrunde, was trauriger Liga-Bestwert und zweifellos eine Erklärung für die schlechteste Werder-Winterbilanz aller Zeiten ist.
Werder Bremen: Möhwald führt die Ausfall-Rangliste an
Das weiß natürlich auch Trainer Florian Kohfeldt. „Es ist ein Thema, das sich durch die Hinrunde zieht, das kann man nicht wegdiskutieren“, sagte der 37-Jährige. „Wir mussten wegen der Verletzungen zu viel umstellen und haben dadurch Qualität verloren.“ Kohfeldt möchte die schwache Hinrunde damit nicht entschuldigen, auf diese Feststellung legt er wert.
Zur Geschichte dieser ersten 17 Liga-Spiele gehört die Krankenakte aber nunmal, vom Anfang bis zum Ende, wie die Partie in Köln gerade erst gezeigt hat. Als Milos Veljkovic Mitte der zweiten Halbzeit draußen behandelt wurde, sank auch Ludwig Augustinsson zu Boden, was Kohfeldt an der Seitenlinie einmal mehr den Schweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte. Wenig später mussten beide Spieler raus, Werders Abwehr einmal mehr umgebaut werden.
„Wir haben bisher kaum einmal mit der gleichen Abwehrkette spielen können“, haderte Kapitän Niklas Moisander, der wegen einer Muskelverletzung in der rechten Wade selbst elf Liga-Spiele und ein Pokal-Spiel verpasst hatte. Damit liegt der 34-Jährige Finne im vereinsinternen Ranking auf dem fünften Platz. Nur Kevin Möhwald (Knieverletzung, 16 Spiele), Fin Bartels (Knieverletzung, 16 Spiele), Niclas Füllkrug (Kreuzbandriss, 14 Spiele) und Augustinsson (Knieverletzung, 13 Spiele) standen noch häufiger nicht zur Verfügung.
Werder Bremen: Kader-Zusammenstellung eine Ursache?
Zeitweise wirkte es, als läge ein Fluch auf der Mannschaft. Werder Bremen selbst fiel die Suche nach den Gründen für die plötzliche und vor allem anhaltende Verletzungsseuche spürbar schwer. Selbst einen Rasen-Experten aus Belgien ließen die Bremer im September einfliegen. Kohfeldt erklärte damals, es gehe darum, „Informationen zu Untergrundbeschaffenheit und deren Korrelation zu Verletzungen“ einzuholen. Den Durchbruch brachte auch das nicht – am Ende blieb es dabei: Ein klares Muster war nicht zu erkennen.
Die wahrscheinlichste Ursache dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Werder einen verhältnismäßig alten Kader hat, in dem wiederum verhältnismäßig viele Spieler stehen, die in ihrer Laufbahn schon mehrere schwerere Verletzungen hatten. Dass von ihnen aber so viele gleichzeitig ausfallen, ist am Ende wohl auch mit Pech zu erklären. Werder hat sich damit abgefunden – viel mehr blieb dem Club ja auch nicht übrig –, musste aber mit ansehen, wie sich Stück für Stück die Spielideen aus dem Sommer in Luft auflösten.
„Wir haben eine Sommer-Vorbereitung gemacht, und spätestens nach dem Düsseldorf-Spiel war von der Mannschaft, die diese Vorbereitung gemacht hat, nicht mehr viel übrig“, sagte Kohfeldt.
Werder Bremen: Borussia M'Gladbach kann Verletzungen kompensieren
Zur Erinnerung: Düsseldorf war Gegner am ersten Spieltag. Dass es trotz vieler Ausfälle auch deutlich besser laufen kann, zeigt das Beispiel Borussia Mönchengladbach. Dort verpassten 21 Profis zusammengerechnet stolze 110 Pflichtspiele während der Hinrunde, was hinter Werder Bremen und Fortuna Düsseldorf (120) Rang drei im Liga-Vergleich bedeutet. Da der Gladbacher Kader in der Tiefe aber deutlich besser besetzt ist, gelang es der Mannschaft von Trainer Marco Rose, das aufzufangen. Trotz Doppelbelastung durch die Europa League überwintert Gladbach als Tabellenzweiter.
Werder Bremen hofft auf baldige Rückkehr der Profis
Bei Werder indes hoffen sie nun auf die Rückkehrer, auf möglichst viele und möglichst schnell. Fin Bartels hat seine ersten zwei Einsätze schon hinter sich, Ömer Toprak und Josh Sargent sollen zum Rückrundenstart wieder dabei sein, Ludwig Augustinsson eventuell auch.
Läuft alles wie geplant, sind es im Januar in Niclas Füllkrug, Kevin Möhwald und Theodor Gebre Selassie also „nur“ noch drei Profis, die für noch länger fehlen. Aber – und diese Frage sei zum Ende noch einmal erlaubt –, was ist bisher schon normal bei Werder Bremen? (dco)
Überblick: Werder führt Bundesliga-Verletztenliste nach der Hinrunde an
1. Werder Bremen: 18 Spieler verpassten 125 Pflichtspiele
2. Fortuna Düsseldorf: 19 Spieler verpassten 120 Pflichtspiele
3. Borussia Mönchengladbach: 21 Spieler verpassten 110 Pflichtspiele
4. FC Augsburg: 21 Spieler verpassten 99 Pflichtspiele
5. 1. FSV Mainz: 05 13 Spieler verpassten 89 Pflichtspiele
6. SC Freiburg: 19 Spieler verpassten 88 Pflichtspiele
7. Eintracht Frankfurt: 21 Spieler verpassten 87 Pflichtspiele
8. RB Leipzig: 15 Spieler verpassten 85 Pflichtspiele
9. VfL Wolfsburg: 13 Spieler verpassten 84 Pflichtspiele
10. TSG 1899 Hoffenheim: 15 Spieler verpassten 84 Pflichtspiele
11. FC Schalke 04: 18 Spieler verpassten 81 Pflichtspiele
12. 1. FC Union Berlin: 17 Spieler verpassten 74 Pflichtspiele
13. 1. FC Köln: 18 Spieler verpassten 64 Pflichtspiele
14. FC Bayern München: 12 Spieler verpassten 62 Pflichtspiele
15. Hertha BSC: 14 Spieler verpassten 56 Pflichtspiele
16. Borussia Dortmund: 18 Spieler verpassten 50 Pflichtspiele
17. Bayer 04 Leverkusen: 11 Spieler verpassten 49 Pflichtspiele
18. SC Paderborn: 10 Spieler verpassten 26 Pflichtspiele
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