Eine Vertragsauflösung zwischen Christoph Kramer und Borussia Mönchengladbach erscheint aus sportlichen Gründen nachvollziehbar. Dennoch hätte dieser Schritt einen Beigeschmack.
Mönchengladbach – Nach Patrick Herrmann und Tony Jantschke wird sich womöglich der dritte langjährige Profi aus dem Kader von Borussia Mönchengladbach verabschieden. Laut übereinstimmenden Medienberichten der Bild-Zeitung und Rheinischen Post verhandeln die Verantwortlichen mit Christoph Kramer über eine vorzeitige Auflösung des Vertrages, der im Januar 2023 bis zum 30. Juni 2025 verlängert worden war.
Kramer hat in Gladbach an sportlichen Stellenwert eingebüßt
Offiziell ist Kramer seit acht Jahren Borusse und ab dem 1. Juli nach Tobias Sippel und Nico Elvedi auf dem dritten Platz der dienstältesten Fohlen. Wird die vorübergehende Rückkehr zu Bayer Leverkusen in der Saison 2015/16 ausgeklammert, stände der Weltmeister von 2014 an der Spitze dieses Rankings. Kramer, der von 2013 bis 2015 leihweise bei Gladbach unter Vertrag gestanden hatte, vertritt ebenso die „alte Borussia“ wie Herrmann, Jantschke oder Florian Neuhaus, dessen Zukunft nach einer komplizierten Saison unter Gerardo Seoane offen erscheint. Zweifelsohne ist Kramer ein verdienter Spieler, der jedoch an sportlichen Stellenwert eingebüßt hat.
Zwar wurde Kramer zu Beginn dieser Saison von einem Innenbandanriss im Knie ausgebremst, während er im letzten Drittel aufgrund einer hartnäckigen Lungenentzündung pausieren musste. Zwischen September 2023 und Februar 2024 sammelte der 33-Jährige dennoch lediglich 237 Minuten in der Bundesliga und 106 Minuten im DFB-Pokal. Julian Weigl war als Koordinator auf der Sechs gesetzt, davor bestachen Manu Koné und Rocco Reitz mit Dynamik in ihren Aktionen, technischen Qualitäten am Ball und bisweilen auch mit Zweikampfhärte.
Seoane setzt auf andere Spielertypen als Kramer
Im sich wandelnden Spiel unter Seoane, der seine taktische Ausrichtung insbesondere in der Rückrunde von der Tabellensituation abhängig gemacht hat, war Kramer hinter dem Trio sowie Neuhaus die Nummer fünf, weil der frühere zwölffache Nationalspieler im direkten Vergleich Defizite in puncto Tempo, Dynamik und Intensität aufweist. Bereits im intensiven Umschaltspiel unter Adi Hütter in der Saison 2021/22 hatte Kramer keinen leichten Stand. Verletzungs- und krankheitsbedingt verpasste der Mittelfeldspieler neun Bundesliga-Partien, die Bilanz von 7 Startelfeinsätzen in 18 Spielen und 739 Einsatzminuten macht deutlich, dass die Konkurrenz den Vorzug genoss.
Unter Daniel Farke erlebte Kramer 2022/23 hingegen einen zweiten Frühling: 27 Startelfeinsätze, 29 Spiele insgesamt und 2229 Einsatzminuten. Unvergessen sind zwölf Einsätze im offensiven Mittelfeld, weil es verletzungsbedingt an Alternativen fehlte und Farke auf Kramer als Pressingkoordinator vertraute. Im geduldigen Ballbesitzspiel des Ex-Trainers fielen körperlichen Defizite weniger ins Gewicht, dafür punktete Kramer mit Sicherheit im Passspiel. Mit Farkes Entlassung wendete sich das Blatt jedoch erneut.
Eine Vertragsauflösung in Gladbach hätte einen Beigeschmack
Gemäß der Rheinischen Post verkündete Sport-Geschäftsführer Roland Virkus nach dem 0:4 in Stuttgart am 34. Bundesliga-Spieltag dieser Saison, dem Mittelfeld mehr Dynamik und Zweikampfhärte hinzufügen zu wollen, außerdem sollen die Fohlen in Sachen Tempo zulegen und künftig mehr PS auf die Straße bringen. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine vorzeitige Trennung von Kramer, der überdies zu den Spitzenverdienern des Kaders gehören soll, nachvollziehbar. Zumal der Alt-Star kein Geheimnis daraus macht, dass der Abschied von Herrmann und Jantschke auch für ihn emotional war und es ungewohnt wäre, die Kabine plötzlich ohne seine langjährigen Mitspieler zu teilen.
Einen Beigeschmack hätte eine Trennung in dieser Form dennoch. Kramer ist mit 288 Pflichtspieleinsätzen ein mehr als verdienter Spieler, schaffte vor zehn Jahren in Gladbach den Sprung in die Nationalmannschaft und den WM-Kader für Brasilien. Eine Vertragsauflösung wäre ein Abgang aus der Hintertür, während Herrmann und Jantschke durchs große Tor gingen - wie auch Lars Stindl vor einem Jahr. Vorerst bleibt es aber beim Konjunktiv, denn der Ausgang der Gespräche zwischen Kramer und Borussia ist dem Vernehmen nach ungewiss.