Saint-Denis - Sieben Spiele, ein Sieg nach 90 Minuten - und trotzdem Europameister. Portugal entzaubert Frankreich im Finale der Fußball-EM und macht Cristiano Ronaldo glücklich.
Als sein Lebenstraum Wirklichkeit wurde, sank Cristiano Ronaldo weinend zu Boden, rücklings, ein Betreuer warf sich auf seine zitternde Brust. Sekundenlang lagen sie so da, Ronaldo streckte die Arme von sich, dann erst humpelte er zu seinen ekstatischen Mitspielern in die Fankurve. Der Superstar hat mit Portugal an einem dramatischen Abend doch noch den EM-Titel geholt - und er hat die Franzosen von der Erfüllung einer nationalen Mission abgehalten.
Das 1:0 (0:0) nach Verlängerung im Herzen der schockierten Grande Nation feierte Cristiano Ronaldo wie keinen seiner unzähligen Titel zuvor. Er hatte zwei Stunden zuvor schon einmal geweint, sie hatten ihn verletzt vom Platz tragen müssen: Und nun die Krönung seiner Karriere. Für einen, der als Vereinsfußballer alles gewonnen hat - und das meist mehrfach.
Vor 75.868 Zuschauern im Stade de France versetzte der eingewechselte Eder in der 109. Minute Frankreich den Stich ins Herz. "Das ist der beste Moment meiner Karriere. Ich glaube, ich träume. Ich kann das gar nicht glauben. Ich spiele in Frankreich, und dann hier zu gewinnen, ist spektakulär", sagte der künftige Dortmunder Raphael Guerreiro. Renato Sanches vom FC Bayern rief seinen Landsleuten zu: "An alle Portugiesen: Feiert!"
Ronaldo nach 25 Minuten ausgewechselt
Die Gastgeber bedauerten sich selbst. "Die Enttäuschung ist enorm. Wir haben eine große Chance ausgelassen", klagte Trainer Didier Deschamps. "Es gibt keine Worte, um dieses Gefühl zu beschreiben. Wir werden Zeit brauchen, das zu verdauen."
Es hatte sein großer Abend werden sollen, doch Ronaldo spielte schon bald keine Rolle mehr. Nach einem nicht geahndeten Foul von Dimitri Payet (8.) blieb er auf dem Rasen liegen, spielte weiter, ging vom Feld, wurde behandelt, bekam eine Bandage und kehrte zurück. Dann war doch Schluss, auf einer Trage wurde Ronaldo vom Platz getragen. Er weinte. Vor der Verlängerung stand er als Motivator auf dem Platz.
Frankreich war überlegen und hatte eine Vielzahl von Chancen, doch auch der neue Volksheld Antoine Griezmann, der zwei seiner sechs EM-Treffer im Halbfinale gegen Deutschland (2:0) erzielt hatte, brachte den Ball trotz guter Gelegenheiten nicht im Tor des hervorragenden Rui Patricio unter. Seine größte Chance war ein Kopfball in der 66. Minute.
Portugal war schon in der regulären Spielzeit nah am Sieg: Frankreichs Torhüter Hugo Lloris reagierte aber bei einer Flanke von Nani und dem anschließenden Seitfallzieher von Ronaldo-Ersatz Ricardo Quaresma großartig (80.). Allerdings: In der Nachspielzeit (90.+2) traf der eingewechselte André-Pierre Gignac für die Gastgeber nur den Pfosten.
Frankreich verliert erstes EM-Finale
Frankreich hatte zum dritten Mal in einem EM-Finale gestanden, konnte den Titeln von 1984 (in Frankreich) und 2000 (in Belgien und den Niederlanden) aber keinen dritten hinzufügen. Erstmals nach der EM vor 32 Jahren und der WM vor 18 Jahren verloren die Franzosen zudem ein Endspiel im eigenen Land.
Von der Equipe tricolore war mehr erwartet worden, als nur ein wichtiges Fußballspiel zu gewinnen. Staatspräsident Francois Hollande hatte am Tag des Finales noch einmal betont, "die Menschen brauchen etwas, um ihren Weg zu finden". Ein Auftrag, den die Blauen bereit waren anzunehmen.
Die Entschlossenheit war sichtbar. Moussa Sissoko (6.) und Griezmann (7.) gaben erste Warnschüsse ab. Nach einer Flanke von Olivier Giroud und einem Kopfball von Griezmann regierte Torhüter Rui Patricio glänzend (10.). Ebenso nach einer längeren Phase ohne große Höhepunkte gegen den starken Sissoko (34.) oder später gegen Giroud (75.) und Sissoko (84).
Ronaldo-Auswechslung schockt Frankreich und Portugal
Nicht nur die Franzosen verstanden den Titelgewinn als nationalen Auftrag, wie Ronaldo betont hatte. "Ich habe immer davon geträumt, etwas mit Portugal zu gewinnen", sagte er voller Pathos, "ich verdiene es, Portugal verdient es, die Fans verdienen es, jeder Portugiese verdient es." Nur: Er konnte eben nicht mehr mitwirken.
Immerhin war Pepe wieder dabei. Der Abwehrchef hatte seine Muskelverletzung überwunden. Kurios: Kaum war Ronaldo vom Feld, wirkte Frankreich, wirkte die Mannschaft von Trainer Didier Deschamps, der die Equipe tricolore als Kapitän 1998 zum WM- und 2000 zum EM-Titel geführt hatte, plötzlich gehemmt. Chancen wurden ein Weile zur Mangelware.
Die Seleccao, so schien es, wartete auf den einen Konter, auf die eine Standardsituation. Es klappte nicht. Der Schuss ins Glück sollte später gelingen. Der in der 79. Minute für Renato Sanches eingewechselte Eder fasste sich ein Herz und versenkte den Ball aus mehr als 20 Metern im Netz. Kurz zuvor hatte bereits der Neu-Dortmunder Raphael Guerreiro einen Freistoß an die Latte gesetzt (108.).
Das Spiel im Ticker zum Nachlesen.
sid