Vor dem WM-Halbfinale gegen die USA bekommt der englische Frauenfußball in der Heimat jene Aufmerksamkeit, die er für seine Entwicklung benötigt.
Sogar Wetten soll es schon geben. Fällt auf der Insel die Marke von zehn Millionen Fernsehzuschauern? Es könnte gut sein, dass so viele Fußballfans einschalten, wenn am Dienstag (21 Uhr/ZDF) das Halbfinale der Frauen-WM zwischen England und der USA bei der BBC läuft. Von einem „Game-changing Moment“ sprechen Blätter wie der „Guardian“, wobei sich die Frage stellt, ob sich gerade so viel ändert oder ob nicht eine kontinuierliche Entwicklung auf einen neuen Peak zusteuert.
Bislang haben sich bereits 22,2 Millionen Menschen die fünf WM-Partien der Engländerinnen angesehen. Sechs Millionen beim souveränen 3:0 im Viertelfinale gegen Norwegen – und damit mehr als bei den EM-Qualifikationsspielen der Männer im März. In Le Havre spielte das Team um Kapitänin Steph Houghton passenderweise erstmals so adrett wie Trainer Phil Neville am Spielfeldrand angezogen ist. Die englische Effektivität wirkt weltmeisterlich, und nicht wenige sind überzeugt, dass der Rekordweltmeister sich nur noch von einem Gegner aufhalten lässt, der die Unterstützung aus der Heimat spürt, wie Jade Moore versicherte. „Kanada war wirklich sehr, sehr weit weg, aber jetzt spielen wir direkt vor unserer Tür“, sagt die Mittelfeldspielerin des FC Reading.
Trainer Phil Neville: Gegen USA über die Schmerzgrenze gehen
Abbie McManus, die Verteidigerin von Manchester City, sieht eine Chance, dass Mädchen auf dem Schulhof bald Trikots tragen, „auf denen Namen wie McManus oder Williamson stehen und nicht mehr Rooney oder Ronaldo“. Für konservative Politiker sind diese Nationalspielerinnen bereits Idole. „Ich möchte, dass jedes Kind die Ausdauer, den Mut und die Entschlossenheit dieser Spielerinnen hat“, schrieb Bildungsminister Damian Hinds. Mit Kampagnen wie „This Girl Can“ sollen an Schulen die Hürden abgebaut werden, dass Mädchen Sport treiben – und dafür sind jetzt kickende Idole da.
Trainer Neville verlangt, dass seine Spielerinnen gegen die USA über die Schmerzgrenze gehen. Sie müssten ihr „Bravery Level“, das Tapferkeitslevel, um 20 Prozent erhöhen, fordert der Coach, der zusammen mit seinem Bruder Gary lange für Manchester United spielte. Die ihm dort vermittelte Siegermentalität möchte der 42-Jährige übertragen: „Wir müssen verstehen, dass es nicht okay ist, ein Halbfinale zu verlieren.“ Nur weil prägende Figuren wie Karen Bardsley, Lucy Bronze, Jill Scott oder Ellen White jetzt dreimal nacheinander unter den letzten Vieren der großen Turniere standen.
Lesen Sie auch: Aktivistin gegen Rassismus und Homophobie: Megan Rapinoe ist das Gesicht des WM-Turniers
Aber sollte die Energie der US-Girls doch siegen, hätte sein Ensemble wenigstens die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 sicher, nachdem – im Gegensatz zu den Männern – eine Einigung mit dem schottischen, walisischen und irischen Fußballverband zustande kam. Die Präsenz beim Olympischen Fußballturnier sei „absolut fundamental“ für die Entwicklung, findet Neville.
Englische Liga wird immer stärker
Einig sind sich Verband und Vereine auf der Insel, dass ihr Doppelpass zur Entwicklung des Frauen- und Mädchenfußballs ruhig ein bisschen was kosten darf. Und so ist das Mutterland des Fußballs im Eiltempo auf der Überholspur. Spielerberater wie Dietmar Ness, der mehr als zwei Dutzend WM-Teilnehmerinnen betreut, berichten zudem von einer anhaltend hohen Nachfrage nach ausländischen Topspielerinnen. „Wir haben so viele Schritte in den vergangenen Jahren gemacht“, sagt Emma Hayes, die umtriebige Managerin der Chelsea Ladies, „da ist eine internationale Trophäe das letzte fehlende Teil.“
Ihr Klub scheiterte in diesem Jahr noch im Halbfinale der Champions League am Seriensieger Olympique Lyon, aber irgendwann soll die englische Liga die weibliche Königsklasse mal so dominieren wie das männliche Pendant. Der deutsche Markt darf ruhig als Vehikel dienen.
Der FC Arsenal hat erst dem FC Bayern München drei weitere Nationalspielerinnen – die Deutsche Leonie Maier, die Niederländerin Jill Roord und die Österreicherin Manuela Zinsberger – abgeluchst, um sich dann die Bayern-Frauen zur Saisoneröffnung einzuladen. Am 28. Juli kommt es nämlich im Londoner Stadion von Arsenal zur ersten Gemeinschaftsveranstaltung von Männer und Frauen: Erst spielen die Arsenal Ladies, dann kicken Pierre-Emerick Aubameyang und Mesut Özil.
Aber manchmal braucht es die männlichen Zugpferde auch gar nicht mehr. Das Wembleystadion soll nach Willen der Football Association (FA) allein mit dem Frauen-Länderspiel England gegen Deutschland am 9. November gefüllt werden. Ob die DFB-Frauen dann vielleicht sogar bei einem Weltmeister oder Vizeweltmeister antreten, entscheidet sich am 2. Juli im ausverkauften Stade de Lyon. Vor einer Rekordkulisse.
Von Frank Hellmann
Das könnte Sie auch interessieren
Almuth Schult: „Ich habe nicht mit Urlaub gerechnet“
Deutsche Frauen nach dem Aus: Au revoir Weltspitze