Bei Borussia Mönchengladbach gab es in den vergangenen Jahren einen großen Streitpunkt. In diesem Sommer erfolgt offenbar die nächste Kehrtwende.
Mönchengladbach – Eine Frage, die in den vergangenen Jahren häufiger in Bezug auf Borussia Mönchengladbach diskutiert wurde, war in den letzten Zügen der abgelaufenen Saison häufiger in den Raum geworfen worden: Für welche Art Fußball soll die Fohlen-Elf eigentlich stehen?
Eröffnet wurde diese Debatte bereits im Sommer 2019, als der damalige Sportdirektor Max Eberl den Trainerwechsel von Dieter Hecking zu Marco Rose vollzog. Eberl war angetan vom Pressingfußball der RB-Schule, verpflichtete nach Roses Abgang zu Borussia Dortmund im Sommer 2021 deshalb Adi Hütter. Dessen extremer Pressing-Stil passte nicht zum Kader, doch ein Umbruch sollte Abhilfe schaffen.
Vom Pressing zum Ballbesitz
Der Ausgang dieser Geschichte ist bekannt. Gladbach verfehlte - auch wegen des Pechs, dass Marcus Thuram kurz nach Saisonbeginn eine folgenschwere Verletzung erlitt - den Umbruch, spielte unter Hütter ein kompliziertes Jahr und landete in der Endabrechnung auf Platz zehn. Nach dem 34. Spieltag einigten sich beide Seiten auf eine vorzeitige Trennung, da Roland Virkus als neuer Sport-Geschäftsführer eine andere Spielidee verfolgte.
Der frühere Nachwuchskoordinator, der im Februar 2022 Eberls Erbe angetreten hatte, verpflichtete im selben Sommer mit Daniel Farke einen Trainer, der geduldigen Ballbesitzfußball praktizieren lässt. Die Spieler sollen den Gegner durch lange Ballzirkulation zurechtlegen, insbesondere das Aufbauspiel im ersten Drittel nahm unter Farke viel Zeit in Anspruch. In der Rückrunde nahm die Kritik innerhalb des Fan-Umfelds zu, allen voran auswärts schwächelte Borussia enorm – dennoch wirkte Farke in seiner Kommunikation äußerst gelassen. Die Konsequenz: Nach einer Saison beendeten Borussia und Farke die Zusammenarbeit.
Viele Gesichter unter Seoane
Seit 2023 steht Gerardo Seoane an der Seitenlinie, doch in der abgelaufenen Saison war nicht so recht erkennbar, in welche Richtung der Schweizer die Mannschaft entwickeln will. Zu Beginn spielte Gladbach temporeichen Offensivfußball mit dem Fokus auf vertikale Pässe in die Tiefe, um die hohe Geschwindigkeit der Flügelspieler zum Tragen kommen zu lassen. Allerdings zogen sich die Fohlen nach Führungen regelmäßig zurück, ließen sich bis in den eigenen Strafraum fallen und zeigten kaum Gegenwehr, ehe der Ball im Netz zappelte.
Seoane unternahm viel, veränderte regelmäßig Grundformation und Personal, der Ertrag war jedoch gering. Gladbach war im Pressing schwach, ließ auch im Block viele Lücken, schuf selten Entlastung und wählte im eigenen Aufbau meist lange Bälle auf Jordan. Im letzten Saisondrittel setzte der Coach dann ausschließlich auf defensive Aufstellungen, um die Gegentorquote zu minimieren und frühzeitig die Klasse zu halten. Allerdings war Gladbach erst am 33. Spieltag gerettet und kassierte insgesamt 67 Gegentreffer.
Seoane legt sich auf Spielstil fest
Beim Trainingsauftakt am Mittwoch war eine neue Energie zu spüren. Spieler und Verantwortliche geben sich forsch, haben die obere Tabellenhälfte als Ziel ausgerufen – und skizziert, über welchen Fußball dieses Ziel erreicht werden soll. „Wir wollen eine mutige und aktive Mannschaft, die teilweise auch unangenehm zu bespielen ist“, zitiert die Rheinische Post Seoane, der betont: „Wir haben ein Team, das schon darauf ausgerichtet ist, seine Stärken mit dem Ball zu haben. Das wollen wir unbedingt auf den Platz bringen und sind uns bewusst, dass das Verteidigen ein ganz wichtiger Teil ist.“
Am Donnerstag wurde erstmals sichtbar, was unter mutig und aktiv verstanden wird – und nun steht offenbar ein ähnlicher Stil wie unter Rose und Hütter im Fokus. Gladbach übte Angriffspressing, ließ die Stürmer im Aufbauspiel hoch anlaufen und Stress auslösen. Überhaupt sollen die zahmen Fohlen unangenehmer werden, wie die Transfers von Philipp Sander, Kevin Stöger und Tim Kleindienst unterstreichen.
Gladbach soll nun doch wieder mehr Pressingfußball spielen
Kleindienst sprach nach dem Auftakt von einer „Arschloch-Mentalität“, die das Team entwickeln müsse. Der Neuzugang vom 1. FC Heidenheim will in diesem Punkt vorangehen. „Für mich ist das perfekt, ich bin ein Spielertyp, der das gern macht“, sagte der Stürmer.
Leihgabe Jordan war dafür nicht geeignet, auch Alassane Pléa ist kein Pressingmonster. Überhaupt war Rocco Reitz vergangene Saison der einzige Lichtblick vor der Abwehr, entwickelte sich mit seiner Lauf- und Zweikampfbereitschaft schnell zu einem Publikumsliebling. Diese Eigenschaften sollen auch die Neuzugänge ausstrahlen und auf ihre Mannschaftskollegen übertragen – damit unter Seoane wieder der Fußball gespielt wird, der nach dem Hütter-Aus eigentlich der Vergangenheit angehören sollte.