Im Jahr 2016 stand Eintracht Frankfurt noch kurz vor dem Abstieg. Inzwischen sind die Hessen regelmäßig in den Top 7 - dank kluger Transfers.
Frankfurt - Als Fredi Bobic im Juni 2016 als neuer Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt anheuerte, stellte er schnell etwas klar, was zu diesem Zeitpunkt beim stolzen Traditionsklub durchaus auch mit Unverständnis registriert wurde: „Wir sind ein Ausbildungsverein.“ Die Hessen, bei denen einst Stars wie Charly Körbel, Uwe Bein, Anthony Yeboah oder Jay-Jay Okocha die Fußballschuhe schnürten als „Ausbildungsverein“?
Eintracht hat seine „mausgraue“ Transferpolitik seit 2016 komplett umgestellt
Man muss sich, um die Worte von Bobic zu verstehen, die damalige Tabelle vor Augen führen. Schalke 04, Borussia Mönchengladbach waren noch Lichtjahre entfernt, selbst der Hamburger SV oder Werder Bremen waren wenige Jahre zuvor noch regelmäßiger Teilnehmer an Europa League oder gar Champions League. Die Eintracht war zwar finanziell einigermaßen stabil, doch die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb glich eher einem Wunder. Die Realität hieß häufig Abstiegskampf, gegen den 1. FC Nürnberg rettete man sich erst in der Relegation (1:1/1:0).
Die Transferpolitik war dementsprechend: Mausgrau. Deals der Marke Haris Seferovic, Luc Castaignos oder Lukas Hradecky waren in einer gewissen Art und Weise kreativ. Die teuersten Verkäufe der Vereinsgeschichte - Lajos Detari und Kevin Trapp - lagen bei etwa neun Millionen Euro. Der gescheiterte Brasilianer Caio trug zehn Jahre lang den Stempel „teuerster Einkauf der Historie“ - für 3,6 Millionen Euro.
Bobic, Manga und Hübner haben einen „Turnaround“ eingeleitet
Was seitdem passiert ist, gleicht einerseits einem modernen Fußball-Märchen. Es ist andererseits aber auch das Musterbeispiel dafür, was mit der richtigen Personalwahl und einer gewissen Konstanz möglich ist. Das Trio Bobic, Chefscout Ben Manga und Sportdirektor Bruno Hübner zog die korrekten Schlüsse. Alte Zöpfe wurden abgeschnitten - und bei der Suche nach neuen Akteuren taten sich plötzlich Märkte auf, die niemand zuvor mit Frankfurt in Verbindung brachte.
Die Eintracht nahm plötzlich nicht mehr Profis auf, die in Hoffenheim, Wolfsburg oder Leverkusen gescheitert waren. Sie stöberten stattdessen bei Real Madrid, Manchester United oder AC Florenz. Natürlich passierte dies nicht in der ersten Reihe. Doch Talente, die einen Teil ihrer Ausbildung bei solchen Topvereinen verbracht haben, bringen das gewisse Etwas mit. Omar Mascarell und Jesus Vallejo etwa, standen für Zielstrebigkeit, Mentalität, Biss, Laufstärkte und Technik.
Plötzlich kassierte die Eintracht Rekordsummen
Ein Weg, der mit Leihgeschäften ohne Kaufoptionen begonnen hatte, wurde mehr und mehr verfeinert. Die folgenden Zahlen zeigen auf, wie sich die Frankfurter - auch dank des Coaches Niko Kovac - innerhalb von zwei Jahren vom Fast-Absteiger zum DFB-Pokal-Sieger 2018 entwickelt haben.
Saison 2016/17 | Einkäufe für 3,8 Mio. € | Verkäufe für 12,05 Mio. € | Überschuss von 8,25 Mio. € |
Saison 2017/18 | Einkäufe für 24,2 Mio. € | Verkäufe für 4,92 Mio. € | Defizit von 19,28 Mio. € |
Im zweiten Bobic-Jahr ging der Klub für Sébastien Haller, Jetro Willems oder Luka Jovic finanziell etwas ins Risiko. Doch es sollte sich auszeichnen. Der frühere Trainer Adi Hütter formte die Büffelherde und in der Spielzeit 2018/19 scheiterte die Eintracht im Europa League-Halbfinale (ja, Sie lesen richtig) am glorreichen FC Chelsea. Der Lohn: Jovic (insgesamt etwa 65 Millionen Euro) und Haller (über 50 Millionen Euro) zogen an Detari und Trapp vorbei. Es war der Sprung in eine völlig neue Dimension.
Während andere Traditionsvereine taumelten, wurde die Eintracht immer stabiler
Bedienten sich 2014 noch die TSG Hoffenheim oder der VfL Wolfsburg in Frankfurt, so änderten sich die Zeiten ab sofort. Die Eintracht hatte plötzlich Tafelsilber, die Agenten der europäischen Spitzenklubs schauten regelmäßig vorbei, Bobic sprach von einem „gehobenen Ausbildungsverein“. Und die Konkurrenz? Hamburg war abgestiegen, Schalke taumelte immer mehr in Richtung Abgrund, Bremen wurde distanziert, Stuttgart pendelte zwischen Liga eins und zwei. Die Traditionsvereine taumelten, während sich die Eintracht stabilisierte.
Saison 2018/19 | Einkäufe für 28,95 Mio. € | Verkäufe für 18,9 Mio. € | Defizit von 10,05 Mio. € |
Saison 2019/20 | Einkäufe für 82,64 Mio. € | Verkäufe für 114,8 Mio. € | Überschuss von 32,16 Mio. € |
Saison 2020/21 | Einkäufe für 10,75 Mio. € | Verkäufe für 17,7 Mio. € | Überschuss von 6,95 Mio. € |
Selbst Corona warf die Hessen nicht aus der Bahn. Sie hatte sich ein Polster angefressen, konnte den Kader zusammenhalten - und sich beinahe für die Champions League qualifizieren. Gladbach gelang es zwar noch ein letztes Mal, die Eintracht empfindlich zu treffen, sie schnappten sich Hütter. Und Bobic? Der wechselte nach fünf äußerst erfolgreichen Jahren zu Hertha BSC. Doch auch die Nachfolger konnten sich freischwimmen und Akzente setzen.
Glasner erreicht historischen Triumph in der Europa League
Sportvorstand Markus Krösche holte Oliver Glasner als Trainer vom VfL Wolfsburg. Und der Österreicher fand nach Stotterstart sein System. Er führte die über Jahre klug zusammengestellte Eintracht zum Triumph in der Europa League. Lagen zwischen den beiden Erfolgen im DFB-Pokal 30 Jahre, so mussten die Fans der Hessen diesmal nur vier Jahre auf die nächste große Fete am Römer warten. Plötzlich Königsklasse!
Und in der Spielzeit 2022/23 traf Krösche eine Entscheidung, die außerhalb der Vereinsführung für gewaltige Diskussionen sorgte. Wie weit geht man nun mit den Einnahmen aus der Königsklasse? Klotzen statt kleckern? Wer sich im näheren Umfeld der Vereinsführung umhörte, der bekam stets die mahnenden Beispiele Schalke, Hamburg oder Stuttgart genannt. Im Erfolg begehe man die größten Fehler, schraube das Gehaltsgefüge in schwindelerregende Höhe.
Saison 2021/22 | Einkäufe für 13,45 Mio. € | Abgänge für 28,4 Mio. € | Überschuss von 14,95 Mio. € |
Saison 2022/23 | Einkäufe für 27,8 Mio. € | Abgänge für 20,89 Mio. € | Defizit von 6,91 Mio. € |
Saison 2023/24 | Einkäufe für 88,1 Mio. € | Abgänge für 144 Mio. € | Überschuss 55,9 Mio. € |
Saison 2024/25 | Einkäufe für 33,35 Mio. € | Abgänge für 46,29 Mio. € | Überschuss von 12,94 Mio. € |
Krösche wählte einen anderen Weg. Mit Mario Götze kam zwar ein prominenter Name, doch er reihte sich finanziell nahtlos ein. Manga war vor seinem Abgang nach Watford noch Coup mit Randal Kolo Muani beteiligt. Es gab zwar auch mit Lucas Alario und Luca Pellegrini zwei Flops. Dennoch gelang der Sprung ins Achtelfinale der Königsklasse, am Ende sprang Rang sieben heraus - und es kamen knapp 130 Millionen Euro für Jesper Lindström und Kolo Muani in die Kasse.
In den Jahren 2019 und 2023 knackte die Eintracht bei Verkäufen die 100-Millionen-Euro-Marke
Der nächste Quantensprung für die Eintracht! Teurer als Kolo Muani waren nur die beiden Ex-BVB-Profis Ousmane Dembele (135 Mio. € zum FC Barcelona) und Jude Bellingham (Betrag kann auf 133,9 Mio € anwachsen - zu Real Madrid). Dann schon folgte Kolo Muani (95 Mio. € zu PSG). Zwölf Monate später klopfte erneut PSG an, verpflichtete Willian Pacho für den Sockelbetrag von 40 Millionen Euro. Durch gut erreichbare Boni kann die Summe noch um fünf Millionen Euro steigen. Während Gladbach viele Stützen ablösefrei oder deutlich unter Wert verloren hat und auch deshalb nach unten gerutscht ist, fanden Krösche und Vorgänger Bobic oftmals den optimalen Zeitpunkt. Natürlich gab es auch in Frankfurt millionenschwere Flops wie Dominik Kohr (8,5 Mio. €), Jens Petter Hauge (im Gesamtpaket über zehn Mio. €) oder Lucas Alario (etwa sechs Millionen Euro). Doch die Volltreffer - zumeist ohne Ausstiegsklausel versehen - überwiegen! Die Liste ist lang und geht von Jovic und Haller über Filip Kostic und André Silva bis hin zu Kolo Muani oder Pacho.
Die Frankfurter haben in den vergangenen neun Jahren für 313,04 Millionen Euro - wobei diese Summe in der aktuell laufenden Transferperiode noch ansteigen wird - Neuzugänge verpflichtet. Verkauft haben die Hessen für etwa 407,95 Millionen Euro. Die Summen sind geschätzt und können vom tatsächlichen Preis abweichen. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Eintracht seit 2016 vieles richtig gemacht und einen Mega-Überschuss von 94,91 Millionen Euro in diesem Zeitraum erzielt hat. Es hat seine Gründe, weshalb die Hessen in den vergangenen sechs Jahren viermal die Top 7 und damit das internationale Geschäft erreichten und sich zudem dank strategisch kluger Entscheidungen von Vorstandssprecher Axel Hellmann infrastrukturell und sponsorentechnisch völlig neu aufstellen konnten.