Thierry Henry in der Zwickmühle: Darum drückt der Frankreich-Star Belgien die Daumen

Thierry Henry ist Co-Trainer der belgischen Nationalmannschaft. Im Halbfinale geht es nun gegen sein Heimatland Frankreich.
 ©AFP/BENJAMIN CREMEL

Thierry Henry - Welt- und Europameister mit Frankreich. Keiner schoss mehr Tore für die Équipe Tricolore. Doch im WM-Halbfinale kann er seinem Land nicht die Daumen drücken.

St. Petersburg - Es ist ein bisschen so, als stünde Deutschland gegen die Niederlande im Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft und Miroslav Klose säße als Co-Trainer auf der Oranje-Bank. Unrealistisch? In dem Fall sicher ja, beim Vorschlussrundenkracher Frankreich gegen Belgien am Dienstag (20 Uhr) in St. Petersburg aber Realität.

Thierry Henry ist Rekordtorschütze und ehemaliger Kapitän der Équipe Tricolore, Welt- und Europameister sowie Fußball-Idol der Grande Nation und inzwischen Assistent von Belgiens Nationalcoach Roberto Martínez - und will die Roten Teufel gegen sein Heimatland ins Finale bringen. „Ich denke, er weiß einiges über das Team Frankreichs. Er ist auf unserer Seite - er wird nicht zögern, uns diese Informationen zu geben“, sagt Belgiens Verteidiger Thomas Vermaelen. Frankreichs Kapitän Hugo Lloris erwartet Henry mit „geteiltem Herzen“.

Thierry Henry als Co-Trainer Belgiens gegen Frankreich: „Das wird nicht leicht für ihn“

Frankreich-Trainer Didier Deschamps bezeichnete das Duell mit seinem Landsmann Henry als „bizarr“. „Natürlich ist es eine schwierige Situation, das wird nicht leicht für ihn“, sagte er am Montag über seinen früheren Mitspieler. „Er sitzt auf der Bank und spielt gegen sein Heimatland. Aber er wusste, dass das passieren kann.“ Belgiens Kevin De Bruyne mutmaßte: „Vielleicht wird er die französische Hymne singen, was ich normal finden würde.“

Stürmer Olivier Giroud bezeichnete Henry als lebende Legende des französischen Fußballs. „Ich hätte es vorgezogen, wenn er bei uns wäre und mir und den anderen die Ratschläge geben würde“, meint Giroud. Was auch immer Henry den belgischen Spielern beim Training erzählt und zuflüstert, er scheint die richtigen Worte zu finden. Neun verschiedene Torschützen zählen die Statistiker, das macht die individuell absolut hochkarätig besetzte belgische Mannschaft extrem unberechenbar. „Er spricht sehr viel mit uns, besonders mit den Stürmern“, sagt Offensivspieler Nacer Chadli.

„Während der 90 Minuten wird es für ihn nur das belgische Herz geben“

Ob in der Brust von Henry zwei Herzen schlagen? „Während der 90 Minuten wird es für ihn nur das belgische Herz geben“, behauptet Pfaff. Henry schweigt zu alledem, er steht exklusiv bei einem englisch TV-Sender unter Vertrag. Im Tagesgeschäft bleibt er im Hintergrund. In einem seiner höchst seltenen Interviews betonte er beim belgischen TV-Sender RTBF seinen Status als der zweite Vertreter von Martinez. „Ich bin T3, zumindest im Moment. Was ich später einmal sein werde? Daran denke ich derzeit nicht.“

Dafür, dass er weltmeisterliches Wissen vermittelt, ist er übrigens ein Schnäppchen für die Belgier: Henry erhält 8000 Euro pro Monat. Er spendet das Geld für wohltätige Zwecke.

Thierry Henry: Welt- und Europameister mit Frankreich

Belgien-Coach Roberto Martínez bezeichnete Henry als „das perfekte fehlende Stück in unserem Trainerstab. Er hat die internationale Erfahrung eingebracht, das Know-how, wie man eine WM gewinnt.“ Der mittlerweile 40 Jahre alte Henry spielte 123 Mal für Frankreich. Er erzielte 51 Tore, sechs davon bei Weltmeisterschaften, er lieferte 27 Mal die entscheidende Vorarbeit. Henry war 1998 ein wichtiger Teil der Mannschaft um Deschamps, die in der Heimat erstmals Weltmeister wurde. 2000 stand Henry im Europameister-Team. 21 Länderspiele bestritten er und Deschamps gemeinsam, keins ging verloren.

„Das Schwierigste ist im Grunde genommen die Frage, ob er Frankreich verlassen hat oder Frankreich ihn“, schrieb die Sportzeitung L'Équipe am Montag, die dem Thema gleich mehrere Seiten widmete. „Man hat mir nichts angeboten, niemals“, zitierte das Blatt eine Aussage Henrys vor einigen Monaten. Nach der EM 2016 trat er den Job bei den Belgiern an. „Ich fühle mich geehrt, Assistenztrainer zu werden. Ich bin sehr aufgeregt“, twitterte Henry damals.

Henry prägte in seiner ersten Zeit von 1999 bis 2007 den FC Arsenal, er spielte unter anderem auch noch für den FC Barcelona und Juventus Turin. „In der Geschichte wird das Bild eines außergewöhnlichen Stürmers bleiben“, sagt Frankreichs Verbandschef Noël Le Graët, als Henry 2014 das Ende seiner Karriere bekanntgab.

Thierry Henry: Handspiel ebnete Frankreich den Weg zur WM 2010

Das unwürdige Handspiel, das Frankreich überhaupt erst zur WM 2010 in Südafrika brachte, die dann in einem denkwürdigen und fast beispiellosen Skandal für die stolze Auswahl der Grande Nation endete, ließ Le Graët in der offiziellen Mitteilung lieber unerwähnt. Mit dem linken Unterarm und dann auch noch mit der linken Hand legte sich Henry damals den Ball vor, um ihn in der Mitte auf William Gallas zu passen, der in der Nachspielzeit des Relegations-Rückspiels das 1:1 erzielte und den Franzosen so die WM-Teilnahme sicherte.

Die Iren mit ihrem bekannt temperamentvollen italienischen Star-Trainer Giovanni Trapattoni waren außer sich, selbst höchste politische Kreise schalteten sich ein und forderten ein Wiederholungsspiel. Henry gab sein Handspiel direkt nach dem Schlusspfiff zu: „Ich weiß, es ist schwer zu akzeptieren, wenn man die Wiederholung sieht.“ Henrys bis dahin glänzende Reputation bekam Schäden ab.

Nach dem WM-Desaster mit dem Vorrunden-Aus und einer Spieler-Revolte trat Henry 2010 aus der Nationalmannschaft zurück. Bei seinem letzten Spiel am 22. Juni 2010 in Bloemfontein gegen Gastgeber Südafrika (1:2) stand Hugo Lloris im Tor. Er wird auch am Dienstag versuchen, den Kasten der Franzosen sauber zu halten. Henrys Tipps hin oder her. Frankreichs Verteidiger Lucas Hernandez glaubt ja sogar, dass „die Fußball-Ikone“ Henry auch zufrieden ist, wenn Frankreich gewinnt. Immerhin sei er ja immer noch Franzose.

Die Halbfinal-Begegnung zwischen Frankreich und Belgien bei der WM 2018 können Sie am Dienstagabend im Live-Ticker verfolgen. Außerdem erfahren Sie auf tz.de*, wo und wie Sie das K.o.-Spiel live im TV und im Live-Stream verfolgen können.

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dpa/SID

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