Bremen – In dieser Saison dürfte es mit Zuschauereinnahmen für den SV Werder Bremen im Speziellen und den Profi-Sport im Allgemeinen wohl nichts mehr werden – vielleicht auch noch nicht zu Beginn der neuen Spielzeit.
Trotzdem ist Werder-Boss Klaus Filbry optimistisch, dass der Bundesligist die Coronakrise gut überstehen wird. Wie das gelingen soll, was der 54-Jährige dabei speziell von Frank Baumann, Clemens Fritz und auch Jörg Wontorra erwartet, erklärt Filbry im Interview mit der DeichStube.
Herr Filbry, war die Vertragsverlängerung mit Energieversorger EWE als Sponsor auch deshalb so wichtig, um zu demonstrieren, dass bei Werder trotz der finanziellen Probleme nicht die Lichter ausgehen?
Also die Lichter werden bei uns so oder so nicht ausgehen. Aber es freut uns natürlich, dass ein langjähriger Partner den Weg mit uns fortsetzt. In Zeiten von Covid ist das nicht so einfach. Aber es ist uns gelungen, mit fast allen Top-Sponsoren langfristig zu verlängern – teilweise zu verbesserten Konditionen.
Laut Wirtschaftsreport der DFL konnten die Bundesligisten ihre Werbeeinnahmen zuletzt im Schnitt um fünf Prozent steigern. Wo liegt Werder dabei?
Ein bisschen darüber. Der Vergleich der Bundesligisten ist schwierig, weil zum Beispiel das Engagement von VW in Wolfsburg oder Red Bull in Leipzig nicht marktgerecht ist. Trotzdem zähle ich Werder bei den Werbeeinnahmen zu den Top Sieben oder Acht. Wir sind als Traditionsclub, der sich modern aufgestellt hat, immer noch attraktiv für Sponsoren.
Aber nicht in allen Branchen. Im Feld Automobile gibt es seit dem Ausstieg von VW keinen Sponsor mehr.
Die Automobil-Industrie hat insgesamt ihr Sponsoring umgestellt und sich in der Bundesliga rar gemacht. Man möchte, aber man kann nicht immer alles haben. Aber klar, das Ziel muss immer sein: weiter wachsen und sich optimieren. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiges Thema, genauso wie die Nachhaltigkeit. Darauf legen wir und unsere Partner immer mehr Wert. Und ich möchte auch noch betonen, dass wir mit unserer E-Sport-Sparte inzwischen sehr gutes Geld verdienen.
Ist es angesichts der finanziellen Probleme der Bundesligisten denkbar, dass es mehr Werbeflächen auf den Trikots geben wird?
Der Platz für den Ärmelsponsor wird in der neuen Bundesliga-Saison größenmäßig an den internationalen Wettbewerb angeglichen. Mehr ist nicht geplant, weil jeder versteht: Qualität geht vor Quantität. Auswüchse wie in anderen Ligen oder Sportarten wird es bei uns nicht geben.
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Was ist dann noch möglich, um die Einnahmen zu steigern?
Die Zukunft geht in eine andere Richtung: Ich denke da zum Beispiel an eine digitale Verkaufsplattform – analog zum Amazon-Marketplace. Warum kann Werder über seine App nicht auch Straßenbahn-Tickets oder Strom für seine Partner verkaufen? Eintracht Frankfurt macht da schon einen sehr guten Job. Darüber denken wir auch nach.
Werder Bremen: Klaus Filbry sagt „schwierigen Transfer-Sommer“ voraus und verneint „Panikverkäufen“
Die Bilanz der vergangenen Saison weist ein negatives Eigenkapital aus. Das Minus dürfte in dieser Spielzeit noch größer werden. Ist dadurch die Lizenz in Gefahr oder gibt es zumindest Auflagen für die nächste Saison?
Nein. Dieses Verfahren ist wegen der Folgen der Coronakrise, die alle betreffen, angepasst worden. Wir werden die Lizenz ohne Auflagen bekommen, aber natürlich müssen wir unsere Zahlungsfähigkeit bis Ende Juni 2022 nachweisen. Fest steht: Vor allem durch die Geisterspiele fehlen uns saisonübergreifend 35 bis 40 Millionen Euro. Diese Saison haben wir im Dezember durch einen Kredit über 20 Millionen Euro abgesichert. Wir wissen aber nicht, wie die Bälle fallen werden. Wann haben wir wieder Zuschauereinnahmen, kommt der Transfermarkt wieder in Gang? Um eine gewisse Beinfreiheit für diese Unwägbarkeiten in der nächsten Saison zu haben, beschäftigen wir uns mit einer Mittelstandsanleihe. Sollten sich die Dinge anders, also positiv entwickeln, dann gibt uns diese Anleihe die Möglichkeit, in strategische Themen zu investieren – in die Digitalisierung, in die Nachhaltigkeit und vor allem in die Aus- und Weiterbildung unserer Spieler.
Wie sollen diese Schulden jemals zurückgezahlt werden?
Das muss das Ziel für die nächsten fünf, sechs Jahre sein. Das heißt: Wir müssen klug und erfolgreich wirtschaften. Wir müssen ein rigides Kostenmanagement umsetzen und uns auf die wichtigen Themen fokussieren. Wir identifizieren über unseren Strategieprozess 2025 die relevanten Wachstumsfelder und werden diese konsequent umsetzen. Hierbei ist eine gute Kader-Management-Politik die Basis für die nächsten Jahre. Diese Vorgehensweise ist mit dem Aufsichtsrat abgestimmt.
Allerdings dürfte schon der nächste Sommer ziemlich schwierig werden: Erfahrene Spieler wie Theodor Gebre Selassie und Niklas Moisander sind dann wohl weg, Leistungsträger müssen verkauft werden – und für neue Spieler ist kein Geld da. Wie soll das funktionieren?
Das wird so oder so ein schwieriger Transfersommer, weil dem System einfach sehr viel Geld entzogen worden ist. Alle Vereine hatten keine Zuschauereinnahmen und haben weniger TV-Geld bekommen. Große Spielerverkäufe wird es deshalb nur sehr begrenzt geben.
Das macht es für Werder aber noch schwieriger, denn Sie haben stets betont, dass Transfererlöse unerlässlich sind.
Wir haben drei Transferperioden Zeit: den Sommer, den Winter und die Phase nach der nächsten Saison. Wir möchten verkaufen, aber es wird keine Panikverkäufe geben.
Aber ohne Verkäufe dürfte es auch keine Möglichkeiten geben, die Mannschaft zu verstärken, was gerade im Mittelfeld unabdingbar erscheint.
Ich bin davon überzeugt, dass Frank Baumann und Clemens Fritz eine intelligente Kader-Politik umsetzen werden. Wir wollen den Kader strukturell verbessern, auch wenn wir wissen, dass das mit weniger Geld eine Herausforderung wird. Aber dafür macht es Sinn, auch in Märkte zu schauen, die nicht ganz so überhitzt sind. Frank hat in der Vergangenheit – zum Beispiel bei den Transfers von Jiri Pavlenka oder Thomas Delaney – gezeigt, dass es möglich ist, Topspieler für relativ wenig Geld zu bekommen.
Werder Bremen: Klaus Filbry glaubt, Offenheit über Geld in der Corona-Krise hat der Bundesliga geholfen
Welche Rolle spielt dabei Trainer Florian Kohfeldt?
Eine sehr wichtige. Er besitzt einen langfristigen Vertrag, ist gerne hier und macht eine gute Arbeit. Auch Florian hat seine Lehren aus der vergangenen Saison gezogen.
Er wird aber auch immer wieder mit anderen Clubs in Verbindung gebracht.
Das mag so sein. Aber sowohl er als auch wir haben uns eindeutig zur Zukunft geäußert.
Aber welche Perspektive kann ihm Werder überhaupt bieten?
Es sind doch alle Vereine durch die Corona-Pandemie schwer gebeutelt – mal abgesehen vielleicht von Clubs wie Wolfsburg, Leverkusen oder Hoffenheim mit ihren Gesellschaftern im Rücken. Alle müssen mit weniger Geld wettbewerbsfähig bleiben. Dieser Herausforderung werden wir uns stellen. Es ist weiterhin möglich, durch die gute Arbeit und Entscheidungen im sportlichen Bereich erfolgreich zu sein. Das haben zuletzt Frankfurt und Mönchengladbach gezeigt.
Sie haben vor einem Jahr als erster Clubboss sehr offen über die finanziellen Schwierigkeiten gesprochen. Die meisten anderen Vereine waren da zurückhaltender – und Werder galt fortan als Pleiteclub. War Ihre Offenheit ein Fehler und schädlich für das Werder-Image?
Der FC Bayern und Borussia Dortmund haben auch sehr deutlich die Mindereinnahmen benannt und sogar von 100 Millionen Euro gesprochen. Ich war da also nicht allein – und ich würde es wieder so machen. Es ist einfach wichtig, transparent und ehrlich zu sein. Wir haben der Bundesliga damit geholfen.
Inwiefern?
Es ging damals darum, ob wieder Profi-Fußball gespielt werden darf, obwohl fast alles noch geschlossen war, sogar die Schulen. Wir haben mit unserer Offenheit dargelegt, dass es eine wirtschaftliche Notwendigkeit gibt, dass wir weiterspielen. Natürlich mit einem entsprechenden Hygienekonzept. Wäre nicht weitergespielt worden, würde es einige Vereine heute vielleicht nicht mehr geben.
Klaus Filbry im Interview: Ein Abstieg würde Werder Bremen finanziell nicht das Genick brechen
Es hieß damals, Werder und Schalke würde es als Erste treffen.
Es wurde viel Negatives berichtet. Es gab aber auch viel positives Feedback – medial und auch von Vereinen wie Borussia Dortmund, die sich bei uns gemeldet haben und sich für unsere Ehrlichkeit bedankt haben. Unser Verhalten hätte in der Diskussion mit der Politik geholfen.
Keine Transparenz gibt es mehr beim Gehaltsverzicht der Profis. Warum?
Wir haben zwei Mal einen Gehaltsverzicht mit der Mannschaft umgesetzt, sie hat ihren Beitrag geleistet. Wir haben vereinbart, dass wir über weitere Inhalte nicht mehr öffentlich sprechen werden, weil sie vertraulich sind. Das bitte ich zu respektieren.
Würde ein Abstieg Werder jetzt finanziell das Genick brechen?
Wir steigen nicht ab! Ich bin von der Qualität der Mannschaft und des Trainerteams überzeugt. Aber ganz grundsätzlich: Unsere Verträge mit den Spielern sind so gestaltet, dass wir in der Zweiten Liga nur noch 40 bis 50 Prozent der Gehälter zahlen müssten. Und bei uns besitzt jeder Spieler einen gültigen Vertrag für die Zweite Liga. Dadurch könnten wir die geringeren TV-Einnahmen größtenteils kompensieren.
Nach dem Fast-Abstieg in der vergangenen Saison ist es unruhiger rund um Werder geworden. Es hat sich eine Opposition mit Jörg Wontorra an der Spitze gebildet. Befürchten Sie einen großen Knall?
Ich finde es vollkommen legitim, dass nach der vergangenen Saison Kritik geäußert wird. Wir haben nach einer umfangreichen Analyse versucht, die Fehler zu beheben, und sind jetzt auf einem guten Weg. An einem Traditionsstandort wie hier sind die Menschen sehr emotional dabei – und das ist auch gut so. Aber uns hat als Verein – gerade im Wettbewerb mit den anderen Bundesligisten – immer ausgezeichnet, dass wir trotz unterschiedlicher Meinungen eine Geschlossenheit für Werder gelebt und nach außen vertreten haben. Das ist eine große Stärke. Bei Jörg Wontorra habe ich das Gefühl, so wie er sich zuletzt geäußert hat, dass auch er das verstanden hat.
Wie meinen Sie das genau?
Immer wenn aus einer sachlichen Diskussion eine zu emotionale und vor allem eine personengetriebene Diskussion entsteht, wird es für Traditionsstandorte gefährlich. Das sieht man an den Beispielen Köln, Gelsenkirchen und auch Stuttgart. Man darf sehr kontrovers diskutieren, aber das muss immer in der Sache und mit Respekt voreinander geschehen, wie es in Bremen Tradition hat.
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