Nur die Callas, Caruso, Domingo oder Pavarotti erreichten eine solche Popularität: Die Opern-Welt trauert um Montserrat Caballé. Ihre Karriere startete sie in Deutschland und ausgerechnet ein Song auf fremdem Gebiet machte sie unsterblich.
München - Manchmal reichte auch nur ein Gang in die Bühnenmitte, der Griff zum Notenständer und ein Kampf mit den Schrauben und Klappvorrichtungen. Nicht lange dauerte es, bis keiner ihrer verführerischen Pianissimo-Töne die Kehle emporstieg, sondern ein Giggeln. Montserrat Caballé konnte nicht mehr anders wie an diesem Abend im Münchner Gasteig. Sie lachte. Hemmungslos, auch ein bisschen verzweifelt ob dieses unziemlichen Dammbruchs. Und mit ihr der ganze, sekundenschnell infizierte Saal. Oper und Konzert, so demonstrierte la Diva, das ganze versteifte, in Konventionen gefangene System, all dies kann manchmal furchtbar lächerlich sein.
Gerade deshalb passt der Ausdruck Diva eigentlich gar nicht auf eine Künstlerin, die am Samstag im Alter von 85 ihrem Publikum endgültig Adios sagen musste. Seit Jahren litt sie unter gesundheitlichen Problemen.
Mit einem einzigen Augenzwinkern, wahlweise einem Losprusten konnte die Caballé alle Luft aus dem Hochkultur-Tamtam lassen. Immer selbstironisch bleiben, auch das war eben ein Credo dieser Sympathieträgerin, die am 12. April 1933 in Barcelona zur Welt kam.
Montserrat Caballé: Neugier auf alles, was jenseits des Opern-Tellerrands passierte
Unter den wenigen Jahrhundertstars der Oper – nur noch die Callas, Caruso, Domingo oder Pavarotti erreichten eine solche exorbitante Popularität – war Montserrat Caballé der nahbarste. Das hat mit ihrer Kunst zu tun, vor allem mit diesen mirakulösen, wunderfeinen Seiden-Pianissimo, die keine andere spinnen konnte wie sie. Der sehr eigene, genre-untypische Humor ist natürlich auch daran schuld. Und letztlich eine Neugier auf alles, was jenseits des Opern-Tellerrands passierte.
Als sich die Caballé 1992 auf fremdes Gebiet wagte, um mit Freddie Mercury den Olympia-Song „Barcelona“ zu schmettern, wurde die Katalanin zur Ikone. Während die drei Tenöre Carreras, Domingo und Pavarotti durch die Stadien der Welt zogen und ihre Gehaltskonten dabei fast zum Platzen brachten, reichte der Caballé ein einziger Song, um endgültig Unsterblichkeit zu erlangen.
Schon längst hatte sie sich damals von den Opernbühnen verabschiedet, um „nur“ noch Konzerte zu geben. Mit ihrer kaum verhohlenen Wut auf Regie-Experimente hatte das zu tun. Mit ihrer Unlust, sich dem Repertoire-Betrieb oder ewig langen Premierenvorbereitungen auszusetzen. Und sicher auch mit ihrer, nun ja, raumfüllenden Präsenz – 1985 rieten ihr die Ärzte kürzerzutreten.
Ihre Leibesfülle erschwerte das unbeschwerte Agieren auf der Bühne, die Caballé konnte selbst am meisten darüber spotten. Sogar dem Gottvater gegenüber. Als Herbert von Karajan sie als Donna Elvira für den Salzburger „Don Giovanni“ wollte, bekam die Caballé einen Brief. In dem hieß es, sie möge zwölf Kilo abnehmen. Die Antwort: „Mein lieber Maestro, ich würde gerne für Sie abnehmen. Leider habe ich keine Zeit dafür, denn ich muss in ,Luisa Miller‘, ,Un ballo in maschera‘ und ,Il trovatore‘ auftreten. Ich fürchte, dass ich mit mehr Kilo als vorher nach Salzburg kommen werde. Bitte entlassen Sie mich aus dem Vertrag.“ Karajan reagierte sofort.
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Montserrat Caballé: Karriere-Start in Deutschland
Was viele nicht wissen: Montserrat Caballé startete ihre Karriere im deutschen Stadttheatersystem. Als man ihr an der Wiener Staatsoper sagte, dort drohten Engagements als Fünftbesetzung, ging sie nach Bremen. „Ich finde, jeder Sänger sollte unbedingt drei, vier Spielzeiten an einer deutschen Bühne arbeiten“, sagte die Caballé später dem „Spiegel“. „Nur so kann man sich in Ruhe entwickeln.“ Vor allem aber sammelte sie Rollen und Erfahrung – der Karriereverlauf gab ihr Recht. 1965 sprang sie ohne Probe für Marilyn Horne in New York als Lucrezia Borgia ein, fortan standen der Caballé die großen Bühnen der Welt offen.
Was auch vergessen wird: Bevor der Belcanto ihre Domäne wurde, stand Montserrat Caballé in Wagner- und Strauss-Partien auf der Bühne. In jenen Heavy-Metal-Rollen also, die eigentlich nur dramatischen Röhren vorbehalten waren. Als das sogenannte Regietheater von den wilden Weibern wie Salome oder Isolde darstellerisch immer mehr verlangte, zog sie sich zurück. Und immer mehr begriffen Agenten, Intendanten und vor allem sie selbst, dass dieses kostbare Sopran-Organ am besten bei Donizetti, Bellini und Rossini aufgehoben war. Ästhetisch nahm die Caballé damit eine Gegenposition ein zu Maria Callas, die sich in Partien wie der Norma mit veristischer Intensität verbrannte, und zu Joan Sutherland, deren geläufige Gurgel immer etwas nach Kühlschrank klang.
Diese schier endlosen, ätherischen Phrasierungsbögen, diese stupende Atemtechnik, diese traumwandlerische Sicherheit bis in die vokale Stratosphäre, diese Finesse selbst in mikroskopischen Bereichen – in alledem war die Caballé unerreicht. Auf dem Musikmarkt war sie dabei als Familienunternehmen aktiv. Nicht nur, weil sie in Konzerten gern mit Tochter Montserrat Martí auftrat, sondern weil sie stets von einer Korona aus Nichten, Neffen und sonstigen Verwandten umgeben war.
Montserrat Caballé: „Du darfst nicht in einem Zimmer auf den Tod warten“
Dass diese Assoluta nach dem Montserrat benannt wurde, einem heiligen Berg im Hinterland von Barcelona, ist vielleicht die schönste Pointe ihres so einzigartigen Lebens. Und dass heute, an einem Tag, an dem die Opernwelt eigentlich Trauer tragen müsste, sich alle Amüsantes über „Montsi“ erzählen dürfte, ist noch viel wunderbarer und tröstlicher. Mit dem Aufhören hatte diese Sopranistin ihre Probleme. Es gab Konzerte in den vergangenen Jahren, unter anderem eines in Rosenheim anno 2016, in denen selbst Fans ins Grübeln kamen. Montserrat Caballé begegnete diesem Thema mit der ihr eigenen Mischung aus Ironie, Realismus und Pflichtbewusstsein: „Du musst bis zum Ende mobil bleiben und darfst nicht in einem Zimmer auf den Tod warten, denn du hast im Leben einen Weg zu gehen. Du bist nicht ins Leben zu kommen, um dich zu amüsieren.“
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