Die Frage, ob Emre Can Kapitän von Borussia Dortmund bleibt, ist längst ein Tuschelthema geworden. Nuri Şahin hat sich offiziell noch nicht damit befasst, aber Spekulationen ermöglicht.
Dortmund – Bei Borussia Dortmund hielten sich die konkreten sportlichen Erkenntnisse der Asienreise in recht engen Grenzen. Ungefähr 35 Flugstunden hat der BVB im Rahmen der Tournee in sechs Tagen hinter sich gebracht, bei der zahlreiche wichtige Spieler noch nicht dabei waren, weil sie nach der EM oder der Copa América noch Urlaub genossen. Ob es großen Sinn ergibt, sportliche Gewinner und Verlierer der Reise auszumachen, sei dahingestellt.
In anderer Hinsicht drängte sich aber durchaus eine Art Gewinner auf: In Fernost war für viele Beobachter unübersehbar, dass Julian Brandt sich zu einem Gesicht des BVB entwickelt hat. Bei diversen Marketingmaßnahmen war der Mittelfeldmann ein Zugpferd, zudem trug er bei den Testspielen in Bangkok und Osaka die Kapitänsbinde.
Nuri Şahin will sich noch nicht mit Kapitänsfrage befasst haben
Dieser Umstand ließ auch bei vielen Fans aufhorchen, da Brandt in der Vorsaison nicht zu den Stellvertretern von Kapitän Emre Can gehörte – anders als Niklas Süle, der so auch die Binde bei den ersten beiden Tests vor der Asienreise am Arm trug. Trainer Nuri Şahin betonte zwar zuletzt wiederholt, er habe sich mit der Frage des Kapitänsamts noch gar nicht intensiver befasst, dem Ex-Profi wird jedoch klar gewesen sein, welche Diskussion die Wahl von Brandt für die beiden Spiele in Fernost auslösen würde.
Tatsächlich wird im Umfeld des BVB seit Tagen neben dem Transfermarkt vor allem über die Frage diskutiert, ob EM-Fahrer Emre Can eine zweite Saison als Spielführer erleben wird. Im Vorjahr war er von Edin Terzić zum Nachfolger von Marco Reus bestimmt worden, der das Amt freiwillig aufgab. Die übrigen Verantwortlichen trugen die Entscheidung mit, dennoch wurde Can über die gesamte Saison in erster Linie als Terzićs Kapitän wahrgenommen.
Emre Can war mit der Binde zunächst überfordert
Da sein Förderer nun nicht mehr auf der Trainerbank sitzt, könnten die Karten neu gemischt werden. Immerhin war Can zu keinem Zeitpunkt völlig unumstritten. Der Sechser erklärte wiederholt selbst, gerade in der Hinrunde mit dem Amt gewissermaßen überfordert gewesen zu sein. „Am Anfang habe ich gedacht, ich muss die Welt retten. Ich habe mich ein bisschen zu wenig um mich gekümmert und mehr um andere“, sagte Can etwa im Wintertrainingslager des BVB von Marbella.
Dass nun über eine Ablösung spekuliert wird, hängt auch damit zusammen, dass dem Nationalspieler nach dem Trainerwechsel von Terzić zu Şahin kein so eindeutiger Stammplatz mehr winken dürfte – insbesondere für den Fall, dass die Verpflichtung von Pascal Groß gelingt, der gerade für Partien, in denen Dortmund viel Ballbesitz erwartet, eine Alternative auf der Sechserposition sein dürfte.
Julian Brandt erhielt nach fünf Jahren Rückennummer 10
Sollte es dazu kommen, dass Şahin einen neuen Kapitän bestimmt, hat Brandt einen ersten Claim abgesteckt. Der 28-Jährige hat sich über die Jahre beim BVB den Status eines Führungsspielers erarbeitet, der öffentlich nicht große Töne spuckt, sondern sich reflektiert präsentiert. Der dienstälteste Profi der Schwarzgelben durfte zuletzt schon in einem eher ungewöhnlichen Schritt die Rückennummer 10 übernehmen. Kommt die Kapitänsbinde hinzu?
Eine solche Entscheidung durch Şahin hätte durchaus Brisanz, da sie nicht nur Can, sondern auch dessen Stellvertreter übergehen würde. Gregor Kobel führte das Team in der vergangenen Saison zwölfmal aufs Spielfeld, war über die gesamte Spielzeit betrachtet der stärkste Dortmunder und entwickelte sich zwischen den Pfosten in Richtung der Weltklasse. Den Schweizer bei der Kapitänsentscheidung außen vorzulassen, wäre schwer nachvollziehbar.
Kapitän Gregor Kobel, Stellvertreter Julian Brandt?
Dabei muss auch die in allen deutschen Wettbewerben neu eingeführte ‚Meckerregel‘ keine Rolle spielen, die besagt, dass nur die Spielführer den Dialog mit den Unparteiischen suchen dürfen, um sich etwa eine Entscheidung erklären zu lassen. Wenn Torhüter als Kapitäne fungieren sind, werden vor der Partie Feldspieler benannt, die sie im Gespräch mit den Schiedsrichtern vertreten – schließlich sollen die Schlussmänner nicht ständig aus dem eigenen Sechzehner in andere Teile des Spielfelds laufen.
In dieser Hinsicht ließe sich sogar eine elegante Lösung finden, um einer neu gestalteten Hierarchie unter Şahin Ausdruck zu verleihen: Indem Dortmund Gregor Kobel mit der Kapitänsbinde ausstattet und Julian Brandt zum Stellvertreter für den Schiri-Dialog macht.