Borussia Dortmund hat sich von Trainer Nuri Şahin getrennt. Seine Bilanz rechtfertigt eine Entlassung, dennoch ist der Ex-Profi ein Bauernopfer.
Dortmund – Borussia Dortmund hat einmal mehr einen Trainer verschlissen. Der nächste Anlauf, an die Glanzzeiten unter Jürgen Klopp heranzukommen, ist mit Ansage gescheitert. Nuri Şahin mag erst nach der 1:2-Niederlage beim FC Bologna in der Champions League am Dienstagabend den Laufpass erhalten haben, an einen positiven Ausgang des Projekts mit dem erst 36 Jahre alten, noch nicht fertig ausgebildeten Trainer glaubten bereits in den letzten Monaten nur noch Teile der Vereinsführung.
Für die Führungsetage um den im Herbst endgültig ausscheidenden Klubchef Hans-Joachim Watzke, Sportgeschäftsführer Lars Ricken, Sportdirektor Sebastian Kehl, den Technischen Direktor Sven Mislintat und Berater Matthias Sammer ist die Trennung von Şahin eine Niederlage. Nach dem Abschied von Edin Terzić sollte der beliebte Ex-Profi Şahin eine Ära prägen, stattdessen steht der Klub zur Hälfte der Saison vor einem Scherbenhaufen.
Borussia Dortmund auf bestem Wege in die Mittelmäßigkeit
Şahin machte dabei zuletzt eine regelrecht bemitleidenswerte Figur. Dem ehemaligen türkischen Nationalspieler wollte einfach nichts mehr gelingen, seien es mutige Aufstellungen mit jungen Spielern wie in Bologna, seien es Umstellungen während der Partien. Die Bilanz von nur einem Sieg aus den letzten neun Pflichtspielen macht die Trennung vom Übungsleiter unvermeidlich. Sie ist inhaltlich sicher gerechtfertigt. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass ein Bauernopfer gefunden wurde, durch das die größeren Probleme des Klubs nicht gelöst werden.
Der BVB stellt sich Anfang 2025 wie ein Verein im absoluten Sinkflug dar. Vom ‚zweiten Leuchtturm‘ hinter dem FC Bayern, den Watzke seit Jahren propagiert, ist Dortmund denkbar weit entfernt. Auch Bayer Leverkusen ist enteilt, die rasante Entwicklung von Eintracht Frankfurt und des VfB Stuttgart muss dem BVB ebenfalls Sorgen bereiten. Dass ausgerechnet der einstige Dortmunder Volksheld Jürgen Klopp bei RB Leipzig langfristig für Erfolg sorgen wird, gilt im Umfeld der Schwarzgelben als besonders schwerer Schlag. Dabei wäre der Blick auf sich selbst angebracht: Dortmund ist auf bestem Wege in die Mittelmäßigkeit.
Ein 35-Jähriger sollte in Dortmund die eierlegende Wollmilchsau sein
An dem Versuch, an die Zeiten von Klopp anzuknüpfen, hat sich der BVB nun zum x-ten Mal verhoben. Mit Top-Trainer Thomas Tuchel passte es menschlich nicht, Peter Bosz kam als Notlösung, als Lucien Favre nicht zu bekommen war. Der Schweizer stieß mit einem Jahr Verspätung zum BVB, wurde mit den Besonderheiten des Klubs ob seiner Zurückhaltung nie warm. Terzić verstand es noch am ehesten, den speziellen Pathos in Dortmund in sportlichen Erfolg umzumünzen.
Den letzten Titel-Trainer (DFB-Pokal 2021) versetzte Dortmund zugunsten von Marco Rose ins zweite Glied, korrigierte den Fehler nach einer turbulenten Saison überraschend wieder. Terzić kratzte am Meistertitel und führte den BVB ins Champions-League-Finale, verlor aber mit biederem, konzeptlos wirkenden Fußball den Rückhalt. Sein Co-Trainer Şahin sollte nun irgendwie die positiven Eigenschaften aller Vorgänger in einem (zu Amtsantritt) 35 Jahre alten Menschen verkörpern.
Stallgeruch ist beim BVB das Einstellungskriterium Nummer 1
Dass dieses Ansinnen zum Scheitern verurteilt war, ist im Umfeld des Klubs schnell so aufgefasst worden. Die Führungsetage klammerte sich jedoch an jeden kleinen Strohhalm, um bloß nicht schon wieder einen Trainerwechsel vornehmen zu müssen, der unbequeme Fragen mit sich bringt: Warum hat der BVB seit Jahren nie eine echte Suche nach dem nächsten Chefcoach veranstaltet? Warum die Sorge, den Co-Trainer Şahin an einen anderen Verein zu verlieren?
Inzwischen ist völlig offensichtlich, dass der BVB für Şahin noch mindestens eine Nummer zu groß war. In Dortmund heißt es, der Ex-Profi hätte die Möglichkeit gehabt, sich für zwei, drei Jahre andernorts die Sporen zu verdienen, um dann bei seinem Herzensverein mit ganz anderem Standing übernehmen zu können. Stattdessen entschied sich die Vereinsführung wie so oft für die Stallgeruch-Lösung.
Şahin war für diesen BVB-Kader noch nicht bereit
Der lebenslange BVB-Fan Watzke, seit 20 Jahren in Führungsfunktion, entschied vor der Saison gemeinsam mit dem bisherigen Chef der BVB-Nachwuchsakademie Ricken und dem ehemaligen BVB-Kapitän Kehl sowie unter Einbeziehung des früheren BVB-Meistertrainers Sammer und des BVB-Rückkehrers Mislintat, dass Şahin die beste Lösung sei. Argumente, die über die Vergangenheit des Trainernovizen hinausgingen, wurden dabei kaum laut.
Schnell wurde klar, dass Şahin für diese Aufgabe noch nicht bereit war. Die Vereinsführung ließ ihn dabei auch mit ihrer Kaderplanung im Stich. Eine klare sportliche Handschrift ist unter den Profis im Aufgebot von Dortmund nicht zu erkennen. Es gibt gute Einzelkönner, zwar keine Superstars wie einst Erling Haaland oder Jude Bellingham, aber sicher genügend Spieler, die auf dem Papier den Unterschied ausmachen können.
Die ‚Echte Liebe‘ wirkt in Dortmund längst ewiggestrig
Eine Achse daraus zu bilden, ist aber schon wesentlich erfahreneren Persönlichkeiten und Trainern als Şahin schwergefallen. Kapitän Emre Can ist als Reizfigur ein Thema für sich, neigt zu fußballerischen Aussetzern, die seine Autorität untergraben. Julian Brandt als Nachfolger von Marco Reus zum Gesicht des Klubs zu machen, ist gehörig nach hinten losgegangen. Der Mittelfeldmann legt sein Phlegma in diesem Leben wohl kaum noch ab. Am ehesten gereicht Nico Schlotterbeck zum Führungsspieler, auch der Verteidiger leistet sich jedoch zu viele Fehler.
Obendrein fehlt es dem Kader auf einigen Positionen an der nötigen Breite. Eine Saison mit jeweils nur drei vollwertigen und gelernten Innen- und Außenverteidigern zu bestreiten, war töricht. Dass der Klub auch im Winter bislang nur den Verkauf von Donyell Malen vollzogen hat, wirft kein gutes Licht auf Kehl. Dessen Vertragsverlängerung unmittelbar vor dem Beginn der Horrorserie mit vier Niederlagen zum Jahresbeginn setzte der Sache die Krone auf.
Bei jedem normalen Verein wäre Kehl mit seiner Bilanz und ob der ständigen Streitigkeiten und Indiskretionen in der Führungsetage im Sommer auf Jobsuche geschickt worden. Der BVB will aber kein normaler Verein sein, sondern hält an vergangenen Erfolgen fest. Die ‚Echte Liebe‘ wirkt in Dortmund längst ewiggestrig. Şahin hat davon profitiert, als er den Trainerjob erhielt. Nun hofft der Klub, dass der nächste Versuch sitzt. Bevor sich an den grundlegenden Strukturen und der Haltung etwas verändert, werden aber wohl nur weitere Übungsleiter verschlissen.