Borussia Dortmund kann mit Stolz auf die Champions League blicken. Ansonsten muss das Saisonfazit ernüchtert ausfallen. Auch, weil die Kaderbreite den BVB oft im Stich ließ.
Dortmund – Die Führungsetage von Borussia Dortmund hat den Termin für die jährliche Analyse der abgelaufenen Spielzeit dem Vernehmen nach verschoben. Klar ist, dass die Verantwortlichen nicht den Fehler machen wollen, sich wegen der Teilnahme am Finale der Champions League in die Tasche zu lügen. Im Kerngeschäft namens Bundesliga reichte es nur zu Platz fünf.
Erst zum zweiten Mal seit 2010 hat der BVB eine Endplatzierung unter den Top 4 verpasst. Auch wenn die eigenen Leistungen in der Königsklasse entscheidend dazu beigetragen haben, dass es trotzdem auch in der kommenden Saison im wichtigsten Klubwettbewerb der Welt zur Sache geht, ist die Bundesligabilanz enttäuschend.
Niklas Süle gehört zu den großen Enttäuschungen
Ein wesentlicher Faktor war dabei, dass sich Edin Terzić nur unzureichend auf die Breite in seinem Kader verlassen konnte. Gerade zum Ende der Saison hin hat sich der Chefcoach immer mehr auf eine klare Stammelf festgelegt, die auch im Endspiel gegen Real Madrid zum Einsatz kam. Für eine echte Debatte um die Positionen in der ersten Elf boten sich kaum Alternativen an. Der zweite Anzug des BVB hat selten gut gesessen.
Zu den größten Enttäuschungen der Saison muss dabei Niklas Süle gezählt werden. Dortmund kann von Glück sagen, dass Mats Hummels und Nico Schlotterbeck nicht nur starke Leistungen gezeigt haben, sondern auch weitgehend von Verletzungen oder Sperren verschont geblieben sind. Süle blieb mit fortwährendem Saisonverlauf immer öfter nur die Rolle des Zuschauers.
Ramy Bensebaini blieb hinter den Erwartungen
Beim Abwehrmann mehrten sich dabei zuletzt auch wieder die leidigen Diskussionen um seine Professionalität, den Lebenswandel und die Ernährung. Schwer vorstellbar, dass Süle vor diesem Hintergrund als Ersatz für Hummels eingeplant wird, dessen Abschied ins europäische Ausland sich immer mehr abzeichnet. Dass Süle 2022 als potenzieller Führungsspieler vom FC Bayern geholt wurde und zu den Topverdienern im Kader zählt, macht seine schwache Saison umso ärgerlicher.
Doch Süle ist keineswegs der einzige Transfer für Spitze oder Breite, der beim BVB zuletzt nicht den gewünschten Effekt erzielt hat. Ramy Bensebaini sollte Nachfolger von Raphaël Guerreiro werden, hatte auf der linken Abwehrseite aber schon vor seinem verletzungsbedingten vorzeitigen Saisonende im März klar das Nachsehen gegenüber Leihspieler Ian Maatsen.
Felix Nmecha in den wichtigsten Spielen kaum ein Faktor
Der schwache Trost beim Algerier: Wenigstens hat er im Sommer keine Ablöse gekostet. Ganz im Gegenteil dazu steht die Situation von Felix Nmecha. Der Mittelfeldmann kam als designierter Nachfolger von Jude Bellingham vom VfL Wolfsburg und kostete rund 30 Millionen Euro Ablöse, bei der selbst im nahen Umfeld der BVB-Führung die Meinung herrschte, sie falle eigentlich viel zu hoch aus.
Dass Nmecha wegen diverser körperlicher Probleme eine Start-Stopp-Saison erlebte und in den wichtigsten Momenten kaum eine Rolle spielte, wirft kein gutes Licht auf die Planungen des Klubs. Der Deutsch-Engländer wird sich in seiner zweiten Saison beim BVB erheblich steigern müssen, um den Status des Fehleinkaufs abzulegen.
Niclas Füllkrug ohne großen Druck der Konkurrenten
Dieser Makel würde Salih Özcan mutmaßlich anhaften, wäre er nicht von vornherein als recht günstiger Backup für das defensive Mittelfeld betrachtet worden. Dass der türkische Nationalspieler an Emre Can trotz dessen über weite Strecken eher schwachen Saison nie auch nur im Ansatz rütteln konnte, spricht für sich.
Auch im Sturm war die Rollenverteilung beim BVB zuletzt über Monate in Stein gemeißelt. Niclas Füllkrug konnte sich bisweilen torlose Phasen ebenso leisten wie das ein oder andere unsichtbare Spiel, weil er von Sébastien Haller und Youssoufa Moukoko kaum Druck bekam. Beim ivorischen Afrika-Cup-Helden ist das mit körperlichen Problemen zu erklären, bei Moukoko ist die pure Stagnation in der Entwicklung festzustellen.
Flügelspieler und Marco Reus sorgten für Lichtblicke aus der zweiten Reihe
Kein Wunder, dass der BVB im Sommer einen Sturmumbau forcieren will und dabei Serhou Guirassy sehr deutlich ins Visier genommen hat. Eine Baustelle besteht indes auch auf den Außenbahnen, weil die Leihe von Jadon Sancho von Manchester United endet und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit ungewiss ist.
Bei der Kritik der zweiten Reihe des BVB lässt sich der Offensivbereich abseits der Mittelstürmerposition ein Stück weit ausklammern. Auf den Flügeln konnte Terzić neben Sancho mit Karim Adeyemi, Jamie Bynoe-Gittens und Donyell Malen durchaus auf vier Kräfte setzen, die mehr oder weniger im Erwartungshorizont geblieben sind. Phasenweise hat auch Julian Brandt auf der Außenbahn gespielt, um Marco Reus auf der Zehnerposition Platz zu machen.
BVB kann nicht nur die Spitze verbessern
Der Altmeister hat die Saison mit den viertmeisten Scorerpunkten des BVB beendet, nur Brandt, Füllkrug und Malen sammelten mehr Tore und Vorlagen. Eingedenk des Umstands, dass Reus über Monate nicht mehr erste Wahl darstellte, sprechen die Zahlen für sich.
Ebenso deutlich wird der Auftrag für die kommende Saison: Der BVB muss nicht nur allerlei Fragezeichen in der ersten Elf abarbeiten, sondern auch die Kaderbreite im Auge behalten. Sich alleine auf Fortschritte von Spielern wie Süle, Nmecha oder Özcan zu verlassen, wäre töricht.