Bis heute werden Marc Cucurella und Anthony Taylor für das Ausscheiden des DFB bei der EM verantwortlich gemacht. Felix Brych teilt seine Perspektive.
München – Die Rückschau auf das Fußballjahr 2024 wird in Deutschland wohl für immer mit dem Namen Marc Cucurella verbunden bleiben. Das ungeahndete Handspiel des Spaniers im Viertelfinale der EM 2024 gegen die DFB-Auswahl war der vielleicht größte sportliche Aufreger des Jahres überhaupt. Unvergessen, wie ein aussichtsreicher Schuss von Jamal Musiala von Cucurella auf dem möglichen Weg ins Tor gestoppt wurde.
Zum Zeitpunkt der Tat stand es 1:1 in der Verlängerung, ein Treffer hätte dem DFB die Tür ins Halbfinale weit geöffnet. Kurz vor dem Einzug ins Elfmeterschießen gab es den sprichwörtlichen Todesstoß durch den Ex-Dortmunder Mikel Merino, Deutschland stürzte ins Tal der Tränen. „Von der Handszene habe ich oft geträumt. Ich kann es nicht mehr ändern. Wenn es heute irgendwo zu sehen ist, klicke ich immer weg - beispielsweise bei Instagram. Ich kann es nicht mehr sehen“, gestand Musiala kürzlich.
Felix Brych sah beim Handspiel von Marc Cucurella „spontan 50/50-Situation“
Was in der Rückschau bisweilen vergessen wird: An diesem Tag im Juli gab es noch nicht die ganz einhellige Meinung, dass dem DFB-Team ein Unrecht angetan wurde. Einige Experten sahen durchaus Argumente für die Interpretation des englischen Schiedsrichters Anthony Taylor, der auch vom VAR nicht zum Monitor gebeten wurde. Dazu gehörte anfänglich mit Felix Brych auch der wohl beste deutsche Schiedsrichter der letzten Jahre.
„Ich habe es spontan als 50/50-Situation eingeordnet“, erinnerte sich Brych gegenüber der Süddeutschen Zeitung an seine Wahrnehmung der Cucurella-Szene, die er bei einer privaten Gartenparty erlebte. „Sehr weit abgespreizt war der Arm in dieser Szene nicht, und es gibt auch Bilder, die zeigen, dass er den Arm eher wegzieht“, so der Bundesliga-Rekordunparteiische. „Aber natürlich gibt es mehr Kriterien, die für Handspiel sprechen.“
Brych zu Cucurella: „Seine Augen verraten ihn“
Dazu zählte Brych auch das Verhalten von Cucurella selbst. „Seine Augen verraten ihn“, so der Münchner. „Ich meine nicht den Blick nach der Aktion, sondern den während der Aktion. Cucurellas Blick ist klar zum Ball gerichtet, er sieht den Schuss eindeutig kommen. Man bekommt den Eindruck, dass er seinen Körper bewusst als Hindernis positionieren will. Aber auch sein Blick hinterher legt nahe, dass er schon wusste, was er da gemacht hat.“
Deutschland hätte also einen Elfmeter bekommen sollen, schätzte auch Brych ein. Allerdings brach er eine Lanze für Taylor und den VAR. „Ich hatte im Garten ja auch das Gefühl, dass das eine 50/50-Entscheidung ist, vielleicht hätte ich als VAR in diesem Moment auch gesagt: Es ist nicht klar falsch, wenn du es weiterlaufen lässt, du musst nicht unbedingt eingreifen. Ich bin ja auch erst im Laufe des Abends zum endgültigen Urteil Handspiel gekommen.“
„Das EM-Aus hat die Dimension der Entscheidung nachträglich vergrößert“
„Manchmal gibt es das: dass eine Entscheidung immer klarer wird, je mehr Informationen oder Bilder man zur Verfügung hat, je mehr Bewusstsein man für eine Szene bekommt“, so Brych. „Man wusste im Moment der Entscheidung ja auch noch nicht, dass Deutschland ausscheiden würde, es stand noch 1:1. Das EM-Aus hat die Dimension der Entscheidung nachträglich vergrößert.“
Das freilich hat keinen Einfluss auf die Bewertung einer Szene durch den Schiedsrichter ad hoc. Sie wird in diesem Fall für Deutschland immer ein Ärgernis bleiben. Cucurella bewertete die Situation mit Abstand übrigens recht pragmatisch. „Wenn es gegen uns gewesen wäre, hätte ich protestiert und gesagt, dass es ein Elfmeter war. Aber so ist der Fußball ...“, sagte der spanische Europameister kurz vor Weihnachten.