Vor dem Bundesliga-Restart spricht Werder Bremens Frauen-Trainer Thomas Horsch im DeichStube-Interview über die Gründe für die starke Saison, warum der Abstiegskampf Thema bleibt, seine persönliche Zukunft und den Traum von Europa.
Bremen – Mit Bayer Leverkusen ging es vor einem Jahr los. Die zur Winterpause noch sieglosen und stark abstiegsgefährdeten Bundesliga-Frauen des SV Werder Bremen starteten ihre furiose Aufholjagd. Seitdem ist viel passiert. Die Bremerinnen hielten nicht nur die Klasse, sondern spielen aktuell die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Jetzt geht es nach der Winterpause wieder als erstes gegen Leverkusen (Freitag, 18.30 Uhr/DeichStube-Liveticker – noch gibt es Tickets für „Platz 11“!) – dieses Mal als Duell im Tabellenmittelfeld. Was die Werder-Frauen dieses Jahr so stark macht, warum der Abstiegskampf an der Weser weiter Thema bleibt und wann die Fans vom internationalen Geschäft träumen dürfen – darüber spricht Trainer Thomas Horsch im Interview mit der DeichStube.
13 Punkte nach zehn Spieltagen, 18 geschossene Tore, acht Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge – die Zahlen sind historisch gut. Erleben wir gerade die beste Werder-Frauen-Mannschaft, die es je gab, Thomas Horsch?
Ich würde sagen ja! Wir haben den Kader zusammenhalten können und uns punktuell verstärkt, sodass wir die Qualität in der Breite steigern konnten und der Konkurrenzkampf Woche für Woche angeheizt ist. Wir haben ein gutes Wettkampfklima in der Mannschaft und versuchen, die Leistung immer wieder auf den Platz zu bringen. Das haben wir oft geschafft, zuletzt sogar beim äußerst unglücklichen 0:1 in Wolfsburg. So eng war es dort noch nie. Das lässt uns hoffen, dass es so weitergeht.
Was macht Ihre Mannschaft diese Saison so stark?
Der Mix aus vielen verschiedenen Faktoren. Wir arbeiten jetzt schon im dritten Jahr zusammen, mit einigen Spielerinnen arbeite ich schon über einen längeren Zeitraum gemeinsam. Wir haben die Leistungsträgerinnen alle halten können, dann haben wir mit Sophie Weidauer, Juliane Wirtz und unseren beiden WM-Torhüterinnen Livia Peng und Catalina Pérez wirklich Qualität dazubekommen, dazu noch einige talentierte junge Spielerinnen. Dieser Mix aus langjähriger Zusammenarbeit und einem stabilen Gerüst mit neuen zusätzlichen Ankern, der macht uns gerade stark.
Frauen-Trainer Thomas Horsch sieht Werder Bremen weiter im Abstiegskampf: „Wir werden das schaffen“
Sie sprechen den Kern an Spielerinnen an, der zusammengeblieben ist. Dass sie innerhalb des vergangenen Jahres so einen Leistungssprung gemacht haben, sieht nach Trainerverdienst aus.
Wie gesagt, das ist ein Mix, und natürlich trage ich auch meinen Part dazu bei. Man kann auch sagen, die Arbeit trägt jetzt Früchte. Das ist auch dieses Zusammenspiel: Viele von den Leistungsträgern waren letztes Jahr auch schon da, aber wir haben eben nicht so viele Tore geschossen, wie wir es dieses Jahr tun, weil wir durch gewisse Ergänzungen und durch den Mix stabiler sind und mehr Souveränität im Spiel mit dem Ball haben.
Sie haben einen noch sehr jungen und entwicklungsfähigen Kader. Ist das eine Traumkonstellation für einen Trainer?
Man darf eine Kernaufgabe dabei nicht außer Acht lassen: den Klassenerhalt. Man muss die Talentförderung immer damit in Einklang bringen. Wir haben ja schon viele junge Spielerinnen eingesetzt, aber nicht, weil sie jung sind, sondern weil sie es sich verdient haben und weil wir sie fördern wollen. Aber wir müssen eben auch in der Liga bleiben, sonst brauchen wir über Talentförderung nicht zu reden.
Sehen Sie sich wirklich weiter im Abstiegskampf?
Definitiv. Aus der letzten Saison nehmen wir mit, dass Meppen zum selben Zeitpunkt zwölf Punkte auf dem Konto und acht Punkte Vorsprung hatte und trotzdem noch abgestiegen ist. Wir haben einen guten Kader, deswegen habe ich auch keine Angst davor, dass wir das nicht schaffen. Wir werden das schaffen. Aber Leipzig hat noch nachgerüstet, auch Nürnberg und Duisburg sind auf dem Transfermarkt sehr aktiv gewesen. Da kann noch sehr viel passieren. Deswegen sind wir vorsichtig und wachsam. Wir sind überzeugt von unserer eigenen Stärke, aber so lange wir rechnerisch noch nicht durch sind, richte ich auch immer den Blick nach unten.
Planen Sie noch Neuzugänge, wenn Sie sehen, was die Konkurrenz macht?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind von unserem Kader sowas von überzeugt. Es ist nur Lisa Josten im Winter gegangen, weil sie Spielpraxis haben wollte, die ich ihr so nicht versprechen konnte. Ansonsten kommen mit Jasmin Sehan und Tuana Mahmoud weitere Spielerinnen nach ihren Verletzungen zurück, Reena Wichmann wird im März auch zurückerwartet nach der Kreuzbandverletzung. Von daher ist es nicht nötig, dass wir uns auf dem Transfermarkt umgucken.
Werder Bremens Frauen-Trainer Thomas Horsch im DeichStube-Interview: „Rahmenbedingungen absolut ins Positive entwickelt“
Inwiefern sind Sie in die Bereiche Kaderplanung und Scouting von Neuzugängen eingebunden?
Da bin ich komplett mit eingebunden, das mache ich mit Birte Brüggemann (Abteilungsleiterin Mädchen- und Frauenfußball, Anm. d. Red.) gemeinsam, und das besprechen wir auch mit Frank Baumann (Geschäftsführer, Anm. d. Red.), wen wir wie holen wollen. Dann sind es unterschiedliche Wege, wie wir Kontakt aufnehmen. Mal spreche ich schon mit den Spielerinnen, mal läuft es über die Berater und Birte. Da arbeiten wir komplett zusammen.
Bei den Männern gibt es einen riesigen Scouting-Apparat. Wie muss man sich das im Frauenfußball vorstellen?
Das ist bei Bayern und Wolfsburg schon wie im Männerfußball. Bei uns ist es so: Wir spielen jetzt am Freitag gegen Leverkusen, und am Sonntag fahre ich dann nach Duisburg, um mir Duisburg gegen Nürnberg anzugucken. Da haben wir keinen extra Scout, der noch zu anderen Vereinen fährt und die Gegnerbeobachtung macht – das mache ich selbst. Aber das macht den Job auch interessant. Ansonsten läuft es wie im Männerbereich schon viel über Berater.
Sie sind seit fast drei Jahren Frauen-Trainer bei Werder. Wie haben sich in dieser Zeit der Job und die Gegebenheiten verändert?
Der Beruf an sich hat sich überhaupt nicht verändert, aber die Rahmenbedingungen haben sich absolut ins Positive entwickelt. Wir haben eine eigene Kabine – das hört sich immer noch banal an, aber das ist schon mal top geworden. Die Trainingszeit nachmittags um halb 4, das ist eine ganz andere Nummer, als wenn wir abends um 19.30 Uhr trainieren mussten. Das ist für die Spielerinnen super. Die Wäsche wird gewaschen, wir trainieren auf den guten Rasenplätzen, wir haben einen Besprechungsraum an „Platz 11“. Die Rahmenbedingungen, einfach arbeiten zu können, sind besser geworden. Diese Entwicklung ist in den drei Jahren vorangegangen.
Haben Sie damit gerechnet, den Job überhaupt so lange zu machen?
Ja, grundsätzlich schon, weil ich in meiner Laufbahn überall langfristig tätig war. Von daher war mir schon klar, dass das nicht unbedingt ein Ein-Jahres-Projekt ist. Wir sind bisher sehr erfolgreich den Weg gegangen, haben drei Mal die Liga gehalten und schicken uns an, es ein viertes Mal zu tun. Ich bin nicht überrascht. Für mich schließt sich mit der Tätigkeit in der Frauen-Bundesliga auch ein Kreis. Ich bin damals beim DFB in der Talentförderung in Bremen tätig gewesen und habe auch da schon weibliche Landesauswahlmannschaften betreut, das heißt, ich habe Spielerinnen, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, vor zig Jahren hier im Bereich des Bremer Fußballverbandes betreut. Viele von damals sehe ich jetzt an dieser Stelle wieder. Deswegen ist das für mich auch kein Neuland gewesen.
Thomas Horsch: Werder-Frauen sollen gute Ausgangsposition in der Rückrunde „mit Händen und Füßen verteidigen“
Sie waren vorher Co-Trainer im Stab des damaligen Profi-Cheftrainers Florian Kohfeldt und wurden im Mai 2020 von Ihren Aufgaben entbunden. Das ist doch auch nicht selbstverständlich, dass man dann im gleichen Verein auf anderer Ebene so eine neue Perspektive bekommt. Hätten Sie diesen Weg erwartet?
Ja, aufgrund der Personen, die tätig sind. Ich war ja erst freigestellt, dann kam irgendwann der Anruf von Birte Brüggemann, mit der ich damals beim DFB auch schon zusammengearbeitet habe, ob ich mir vorstellen könnte, die Frauen-Mannschaft zu übernehmen. Ich bin ja auch nicht im Bösen ausgeschieden hier im Verein, das passiert in diesem Geschäft. Deswegen war es für mich gleich klar, dass ich sage: Ja, das kann ich mir vorstellen, das zu machen.
Sie haben gesagt, für Sie schließt sich ein Kreis. Wie lange können Sie sich vorstellen, den Job weiterzumachen – oder haben Sie nochmal etwas anderes vor?
Ich hatte noch nie einen festen Karriereplan. Ich kann gar nicht sagen, ob ich im Fußball alt werden will oder was sonst noch passieren kann. Ich fühle mich wohl in der täglichen Arbeit, es macht Spaß. Ich hoffe, dass wir die Rückrunde so positiv wie die Hinrunde gestalten können, dann wird man weitersehen.
Kommen wir noch einmal zur sportlichen Situation. Bayer Leverkusen ist der nächste Gegner. Was erwarten Sie zum Bundesliga-Restart am Freitag für ein Spiel?
Leverkusen zähle ich zu den Top-5-Mannschaften. Bayern und Wolfsburg sind immer noch „outstanding“, aber das ist schon die Kategorie Frankfurt/Hoffenheim, also eine wirklich spielerisch starke Truppe, gegen die wir uns schon strecken müssen, um Punkte zu holen – aber das wollen wir auch tun.
Welche Herausforderungen erwarten Sie für die Rückrunde? Die Ausgangslage ist nochmal eine andere als im Sommer.
Genau, das ist das Ding, es ist eine andere Ausgangsposition. Im Endeffekt haben wir jetzt etwas zu verteidigen, wir fangen nicht mehr bei null an. Das habe ich den Spielerinnen auch gesagt. Andere Mannschaften laufen einem Rückstand im Moment hinterher, wir kommen mit 13 Punkten. Aber darin liegt ja auch gleich wieder die Gefahr. Wir dürfen uns nicht ausruhen, sondern wir müssen weiter wachsam sein und Punkte holen. Es ist eine gute Ausgangsposition und ich erwarte, dass wir das mit Händen und Füßen verteidigen.
Europa als Perspektive für die Werder Bremens Frauen-Team? Thomas Horsch: „Wir sollten nicht träumen, wir sollten arbeit
Was ist in dieser Saison drin – ein Platz in der oberen Tabellenhälfte?
Sehr gerne. Ich erwarte mir ganz simpel, dass wir weitere Punkte holen, dann kommt alles Weitere von alleine. Wir haben uns mit der Mannschaft keine tabellarischen Ziele gesetzt. Unser Ziel ist ganz klar, in der Liga zu bleiben. Wir sind auf einem guten Weg, und diesen Weg verlassen wir nicht. Dem gehen wir konsequent nach, die Mannschaft arbeitet sehr hart. Aber wir werden keine neuen Ziele ausrufen.
Und perspektivisch? Kann Werder langfristig in die Phalanx der Top drei, vier Mannschaften der Bundesliga eindringen?
Es ist natürlich immer gut, wenn man nicht bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt bangen muss, weil man dann frühzeitiger anfangen kann zu planen. Dann wird es darauf ankommen: Wie gut sind wir in der Talentförderung? Wie gut sind die finanziellen Möglichkeiten für den Frauenfußball? Wie können wir den Kader qualitativ weiter verstärken, um sukzessive weiter nach oben zu kommen? Wir hoffen, dass die Liga irgendwann aufgestockt wird. Das wäre richtig gut, weil man dann vielleicht auch mal frühzeitiger den Klassenerhalt sichern und sich von unten distanzieren kann.
Bei der positiven Entwicklung der vergangenen Monate könnten die Fans aber schon langsam ins Träumen geraten. Wann spielen die Werder-Frauen international?
Bezogen auf die Fans finde ich es absolut toll, dass die Zuschauerzahl an Platz 11 höher geworden ist. Das hat nicht mit Saisonzielen zu tun, sondern mit der Art und Weise, wie diese Mannschaft auftritt. Da bin ich schon stolz drauf, dass man merkt, dass die Spielerinnen Woche für Woche alles auf dem Platz lassen und authentisch sind. Das wird honoriert. Die bessere Atmosphäre wiederum hilft den Spielerinnen, und wir können eine noch bessere Leistung bringen. Wann wir irgendwann von mehr träumen können, ist nicht meine Baustelle. Wir sollten nicht träumen, wir sollten arbeiten. Und wenn wir arbeiten, können wir das vielleicht anschieben.
Dann nochmal anders gefragt: Wenn Werder das nächste Mal international spielt, werden es die Männer oder die Frauen sein?
Das ist eine gute Frage. Ich würde mal sagen, das ist völlig offen! (lacht) Die Uefa überlegt, ob eine Art Frauen-Europa-League ausgespielt werden darf, dann kann vielleicht der vierte oder fünfte Platz ausreichend sein. Wenn sich die Geschichte beim Frauenfußball so weiterentwickelt, kann es sein, dass das irgendwann mal passiert. Aber Achtung, im Moment beschäftigen wir uns immer noch damit, uns in der Bundesliga zu etablieren. Das sollte erst mal die Realität sein, mit der wir uns beschäftigen, und dann kann man irgendwann weiter träumen. (han)