Borussia Mönchengladbach hat die Bundesliga-Reifeprüfung absolviert. Welche Schlüsse können die Verantwortlichen aus den Begegnungen ziehen?
Mönchengladbach – Nach dem schweren Auftaktprogramm in der Bundesliga mit Spielen gegen Bayer Leverkusen, den VfB Stuttgart und Eintracht Frankfurt bezeichnete fussball.news die darauffolgenden fünf Partien als Reifeprüfung.
Borussia liegt in der Formtabelle weit oben
Die Fohlen-Elf spielte gegen Union Berlin, den FC Augsburg, 1. FC Heidenheim, Mainz 05 und Werder Bremen. Gegen dieses Quintett sammelten Gerardo Seoane und die Seinen vergangene Saison insgesamt zehn Punkte, wobei im Hinspiel gegen Heidenheim der einzige Sieg zustande kam und sieben weitere Duelle zu einem Remis führten.
Auf dem Papier ist Gladbach diese Reifeprüfung gelungen, die Bilanz fällt mit drei Siegen, einem Unentschieden und einer Niederlage positiv aus. Schon in der Hinrunde hat Borussia gegen diese fünf Mannschaften genauso viele Punkte gesammelt wie in der Saison 2023/24 und belegt in der Formtabelle mit zehn Punkten aus den vergangenen fünf Partien den dritten Tabellenplatz hinter RB Leipzig (12 Punkte) und Bayern München (11 Punkte).
Was Gladbach im November 2024 fehlt
Insofern erscheint es vermeintlich nachvollziehbar, wenn Sport-Geschäftsführer Roland Virkus nach dem Schlusspfiff gegen Werder Kritik an der Erwartungshaltung äußert. Allerdings hat niemand im Fan-Umfeld vom Europapokal geträumt, von der Champions League erst recht nicht. Stattdessen herrscht Frust darüber, dass die Mannschaft ihr Potenzial nur punktuell ausschöpft und zu häufig entweder kaum Widerstand leistet oder gegen tief gestaffelte Gegner keine Lösungen findet, um zu Torchancen zu kommen.
Letztes ist die erste Erkenntnis der Reifeprüfung. Allen voran in Auswärtsspielen fehlt es Borussia an Resilienz und Durchschlagskraft. Das 1:2 in Augsburg bezeichnete Tim Kleindienst als „Vollkatastrophe“, der Stürmer legte nach dem Pokal-Aus gegen Eintracht Frankfurt trotz 75-minütiger Überzahl nach und bemängelte das ertraglose Ballbesitzspiel in der gegnerischen Hälfte. Auch gegen Mainz (1:1) war offensichtlich, dass Gladbach unter Seoane weiterhin Schwierigkeiten hat, wenn der Gegner aggressiv zu Werke geht und die Spieler unter Druck setzt.
Die positiven Erkenntnisse der Reifeprüfung
Dafür hat Gladbach offenbar ein Problem der Vorsaison überwunden: Die Heimstärke ist zurückgekehrt. Das 4:1 gegen Bremen markiert den dritten aufeinanderfolgenden Sieg im Borussia-Park, nachdem zuvor Heidenheim (3:2) und Union (1:0) bezwungen worden waren. Der Sieg gegen die Köpenicker ist dabei hoch einzuschätzen, weil Union seinerzeit die erste Saisonniederlage kassierte und seither in der Bundesliga nur vom FC Bayern bezwungen wurde.
Genauso positiv ist anzumerken, dass Kleindienst als erfolgreichster Transfer der Ära Virkus zu verbuchen ist. Der Stürmer lieferte gegen Bremen drei Vorlagen, steht nun bei sechs Toren und vier Assists in neun Spielen. Der deutsche Nationalspieler ist die Lebensversicherung der Borussia, nimmt außerdem vor den Mikrofonen kein Blatt vor den Mund. Kleindienst ist Pressingantreiber, Torjäger und Lautsprecher in einem – und damit ein Spielertyp, der Borussia dringend gefehlt hat.
Mit Lukas Ullrich machte gegen Frankfurt und Werder ein weiterer Spieler auf sich aufmerksam. Der Linksverteidiger nutzte seine Chance, setzte in der Offensive regelmäßig Nadelstiche und ließ über seine Seite wenig Gefahr aufkommen. Ob Ullrich den Druck auf den verletzten Luca Netz dauerhaft erhöhen wird, bleibt abzuwarten, dennoch darf der Youngster auf weitere Einsätze hoffen.
Indes hat Marvin Friedrich unter Beweis gestellt, in einer Viererkette zu funktionieren. Der 28-Jährige bildet mit Ko Itakura ein solides Innenverteidiger-Duo, weshalb Nico Elvedi nach seiner Rückkehr auf der Bank zu sitzen droht. Selbiges gilt für Philipp Sander, der das Nachsehen gegen den wiedererstarkten Rocco Reitz hat. Der deutsche U21-Nationalspieler verleiht Borussia mehr Aggressivität und erzielt im Pressing wichtige Ballgewinne.
Fragezeichen hinter Stöger
Auf der anderen Seite droht mit Kevin Stöger der zweite Härtefall nach Florian Neuhaus. Beides sind Kreativspieler, die gegenwärtig im Seoane-System aufgrund der Vorzüge ihrer Konkurrenten auf die Bank weichen müssen.
Während Neuhaus als Alternative zu Alassane Pléa gilt, reiht sich Stöger auf der linken Außenbahn hinter Robin Hack ein. Der Top-Torschütze der vergangenen Saison kommt immer besser in Fahrt, findet mit Flügelpartner Franck Honorat regelmäßig die Tiefe und schlägt viele Flanken ins Zentrum. Stöger sammelte in den vergangenen drei Bundesligaspielen 68 Einsatzminuten und wird voraussichtlich auf der Bank bleiben, solange Hack von keiner Verletzung zurückgeworfen wird.
Auf Gladbach wartet die nächste Prüfung
Die wiedergewonnene Heimstärke, die Entwicklung von Ullrich, Reitz und Friedrich sowie der positive Einstand von Kleindienst deuten auf wichtige Schritte hin, die Borussia im bisherigen Saisonverlauf genommen hat. Will Seoane sein Standing im Fan-Umfeld verbessern, gilt es allerdings, die Auswärtsschwäche zu überwinden und die Erfolgsquote zu erhöhen. Ein Bundesliga-Sieg pro Monat ist unzureichend, die Sehnsucht nach dem zweiten aufeinanderfolgenden Sieg belastet den Klub ebenfalls.
Jedoch ist das Restprogramm des Kalenderjahres 2024 die nächste große Prüfung. Die Auswärtsspiele gegen RB Leipzig (9. November), den SC Freiburg (30. November) und 1899 Hoffenheim (21. Dezember) sind tückisch, dazwischen stehen Heimspiele gegen St. Pauli (24. November), Borussia Dortmund (7. Dezember) und Holstein Kiel (14. Dezember) an.
Gegen die Aufsteiger gelten Siege als Pflicht, auch in Hoffenheim ist Zählbares zu erwarten. Gegen Leipzig, Freiburg und Dortmund kommt es indes auf die Tagesform beider Mannschaften an. Um die Punkteausbeute der Hinrunde der Vorsaison (20 Punkte) zu übertreffen, sind acht Zähler notwendig – und Borussia ist zuzutrauen, ihre Fans in dieser Hinsicht sowohl positiv zu überraschen als auch zu enttäuschen.